Freitag, 11. September 2009

Helden unserer Zeit












Kundus kommt nicht zur Ruhe. Die Nachbeben des fatalen Luftangriffs, der von deutscher Seite in Auftrag gegeben wurde, dauern an. Diesmal ist es der ungeklärte Tod eines afghanischen Reporters, der für Wellen sorgt. Einmal mehr stehen Ansehen und Aufrichtigkeit des Auslands in Afghanistan in dem Fall auf dem Spiel.
Denn seit zwei Tagen richten sich Kritik und Unmut auch gegen die englischen Truppen. Insbesondere gegen das militärische Kommando, das den britisch-irischen Reporter der New York Times befreite. Stephen Farrell und sein afghanischer Kollege Sultan Mohammad Munadi waren am vergangenen Samstag von Taliban bei Kundus entführt worden, als sie über die Folgen des Luftangriffs recherchierten.
Farrell ging als glücklicher Held aus der Befreiungsaktion hervor. Sultan Munadi bezahlte den Einsatz mit seinem Leben. „Er war bis zuletzt an meiner Seite, versuchte mich zu schützen“, schreibt Farrell. Ob sein afghanischer Begleiter durch Taliban-Feuer oder durch Schüsse des Befreieungskommandos starb könne er nicht sagen.
Stimmen in der britischen Regierung, die der Rettungsaktion zustimmte, fanden für das Kommando die Worte „heldenhaft“. Möglicherweise wollte sie durch die Freilassung eines Landsmanns in Afghanistan punkten. Offenbar aber verlief ein Teil der Aktion im Fiasko,
Vier Menschen kamen ums Leben. Neben Sultan Munadi auch ein britischer Soldat sowie eine afghanische Frau und ein Kind. Der britische Geheimdienst hatte zudem offenbar ohne Kenntnis der Lage vor Ort eingegriffen. So gab es bereits Verhandlungen über eine Freilassung der beiden Reporter. Diese schienen sogar auf einem gutem Weg zu sein.
All das ruft nun den Zorn vieler Medienschaffender in Afghanistan hervor und der dazugehörigen Verbände. Kollegen des Verstorbenen stellen sogar grundsätzlich in Frage, dass die Rettungsaktion auch ihrem afghanischen Kollegen gegolten habe.
„Es gibt mehrere Hinweise, dass es den Befreiern nicht um das Leben von Sultan Munadi ging“, glaubt Barry Salam, ein Freund und Medienunternehmer. „In vielen Berichten wir seine Rolle auf die eines Dolmetschers reduziert, was ganz und gar nicht der Wirklichkeit entspricht. Ausserdem gibt es Augenzeugenberichte.“
Downing Street, der Amtssitz von Gordon Brown, dementiert dagegen, die Rettungsaktion habe sich an beide gerichtet und sei die beste Möglickeit gewesen, das Leben beider zu retten.
Der neu gegründete Media Club of Afghanistan, ein Verband afghanischer Journalisten die mit internationalen Medien zusammenarbeiten, verurteilt zwar einerseits die Taliban für die Entführung. Andererseits nennt er das Eingreifen der britischen NATO-Militärs unverhältnismäßig.
So seien die Verhandlungen zur möglichen Freilassung der beiden auf gutem Weg gewesen.
„Das internationale Rote Kreuz war eingeschaltet, auch lokale Würdenträger vor Ort bemühten sich um eine rasche Einigung. Es hat klare Anzeichen für eine friedliche Lösung der Entführung gegeben“, so Barry Salam.
Was davon wussten die Briten ? Und warum griffen sie trotzdem militärisch ein ? Mittlerweile ist eine Untersuchungskommission gebildet worden, die mit Billigung der afghanischen Regierung in Kunduz Erkundungen einholt. Für morgen haben afghanische Journalistenverbände eine grosse Pressekonferenz angekündigt. Unterstützt werden sie von Organisationen der afghanischen Zivilgesellschaft.
Was viele afghanische Medienvertreter umtreibt ist vor allem eine Frage: warum erneut wir? Nicht zum ersten Mal kommt ein ausländischer Reporter aus den Fängen der Taliban frei, während sein afghanischer Begleiter stirbt. So hatte im März 2007 der Fall des entführten Italieners Daniele Mastrogiacomo international für Aufsehen gesorgt. Der Reporter der Tageszeitung 'La Repubblica' war in Begleitung seines afghanischen Kollegen Ahmad Naqshbandi auf Recherche im Süden Afghanistans. Mastrogiacomo kam nach zwei Wochen frei. Im Tausch gegen mehrere Taliban. Naqhsbandi wurde dagegen durch seine Entführer enthauptet. Er war nicht der Faustpfand in den Händen der Aufständischen, den ein Ausländer darstellt. Der Italiener wurde bei seiner Rückkehr in Rom als Held gefeiert. In Afghanistan herrschte dagegen Verbitterung. Wieder einmal stellte ein ausländischer Reporter das lukrativere Faustpfand in den Händen von Entführern da.
Munadis Leiche liessen die britischen Militärs zunächst in Kundus zurück, erst später wurde der Körper überführt. Nicht nur seine Journalisten-Kollegen sehen darin mangelnde Pietät „Für viele ist das ein Zeichen grösster Respektlosigkeit. Sie werten es als unmenschlich. Einige, die seinen Körper mit völlig verblutetem Leichentuch gesehen haben, meinten so herzlos würden nicht einmal die Taliban sein“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der Karsai-Regierung.
Letztendlich beschleicht viele afghanishe Journalisten das Gefühl, sie seien in der Schlacht um Schlagzeilen, Geschichten und die Suche nach der Wahrheit nur Menschen zweiter Klasse.
Ein anderer einflussreicher afghanischer Medienverband meldet sogar ausdrücklich Bedenken an: jeder afghanische Journalist, so ihr Vorsitzender, solle sich in Zukunft genau überlegen, mit wem er in Zukunft zusammen arbeite und recherchiere. Damit wird, so interpretieren es Beobachter, auch die Version von Farrell und seine Aufrichtigkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Ein Reporter der New York Times steht entblösst da. Zugleich kondolieren ehemalige Kollegen der Zeitung, „ohne Sultan Munadi wäre das Kabuler Büro der New York Times heute nicht das, was es ist.“
Ob und was all dies für deutsche und ausländische Journalisten bedeutet, wenn sie künftig in Afghanistan arbeiten, ist unklar. Sicher tun sie gut daran, ihren Übersetzern und Dolmetschern den Respekt zukommen zu lassen, den diese verdienen.
In vielen Fällen sind die sogenannten 'Stringer' für die ausländischen Reporter wie eine Lebensversicherung. Sie treiben die Gesprächspartner auf, schätzen die Seriosität von Informationen ein und organisieren Fahrer, auf die Verlass ist. „Die afghanischen Kollegen begleiten Reporter aus dem Westen mit ins Feld. Sie leiten dabei genauso an wie sie ihnen folgen. Sie sind wie ein mobiles 'Who is Who' für uns. Sie fungieren als Historiker und Führer, als Lügendetektor und Versorgungshilfe sowie als logistische Planer “, so Barry Bearak, ex-Kollege und Chef des Südasien-Büro der New York Times, „sie nehmen das gleiche Risiko auf sich wie ihre ausländischen Kollegen, bekommen dafür weniger Gehalt und auch nicht den Ruhm“, so Bearak.
Sultan Munadi hat darüberhinaus in Kabul mit Erfolg das populäre Radioprogram 'Good Morning Afghanistan' mitaufgebaut und am Entstehen eines multimedialen Medien-Büros mitgewirkt.
Ende letzten Jahres ging er zum Studium nach Deutschland. Ein Materstudiengang über „Good Governance“. „Sultan Munadi war sehr beliebt, nicht nur unter den Afghanen“, erinnert sich sein deutscher Professor, Dietmar Herz von der Erfurt School of Public Policy. „Er hatte ein Führungsrolle inne unter den afghanischen Studenten. Und er war ein sehr reifer junger Mann.“
Anders als viele seiner afghansichen Kollegen, die im Gegensatz zu ausländischen Reportern in der Regel nicht versichert sind, könnte Munadis Familie Glück im Unglück haben. Die Universität Erfurt bemüht sich zur Zeit, dass sein Fall versicherungsrechtlich anerkannt wird beim federführenden Deutschen Akademischen Austauschdienst. Seine Reise würde dann nicht als Einsatz im Krieg eingestuft, sondern als Student auf Heimaturlaub in Afghanistan. Tatsächlich galt seine Reise nach Kabul dem Besuch von Eltern und Familie. Anfang Oktober hatten seine Kommilitonen ihn für den Beginn des Wintersemesters zurückerwartet. Die Universtität Erfurt hat auch ein Konto eingerichtet, das den Angehörigen von Sultan Munadi zugute kommen soll.
Der 34-jährige hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.
Die Debatte in Afghanistan um die tragisch zuende gegangene Befreiungsaktion dürfte derweil noch nicht am Ende sein. „Dieser Fall, zusammen mit dem Luftangriff in Kundus, ist ein bedeutender Rückschlag für die Anstrengungen der Regierung und ihre Verbündeten, die öffentliche Meinung in Afghanistan zu gewinnen“, meint Fayeq, ein bekannter Moderator im afghanischen Fernsehen. In einem der Fälle habe ein Sprecher der Taliban eine Untersuchung der Vereinten Nationen gefordert. In der Propaganda-Schlacht zwischen Aufständischen, afghanishen Behörden und NATO setzt dies die Regierung Karsai und den Westen einmal mehr unter Druck.
Die ge- und zugleich missglückte Befreiungsaktion wird auch äußerst kritisch gesehen in Afghanistan, weil es sich bei den Briten um die ehemalige Kolonialmacht handelt, der viele bis heute negative Absichten und Täuschung gegenüber Afghanistan und seinen Menschen unterstellen. Jedenfalls ist das Verhältnis emotional alles andere als unbelastet, wie viele militärische und diplomatische Zwischenfälle der vergangenen Jahre gezeigt haben.

Auch Tagesspiegel 12.9.

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