Freitag, 21. August 2009

Wähler an der Urne, trotz allem




Man kann sich an vieles gewöhnen innerhalb kurzer Zeit. Zum Beispiel an Geschosse, die im Laufe eines Tages zwischen Wahllokalen einschlagen. Mindestens fünf Raketen tagsüber in der Stadt. Drei Kinder wurden verletzt, zwei Erwachsene. Kunduz ist geschätzt so gross wie die bewohnte Fläche des rechtsrheinischen Köln. Am Morgen hatte ich mich mit einem afghanischen Journalisten aufgemacht einige unabhängige Wahlbeobachter in ein Wahllokal zu begleiten. Eines der Geschosse schlug zum gleichen Zeitpunkt deutlich hörbar ein paar Hundert Meter von der Schule entfernt auf einem Feld ein. Rauch stieg auf. Viele Menschen waren unterwegs zu dem Zeitpunkt. Für Sekunden herrschte Verwirrung. Frauen und Männer, die gerade das Wahllokal verlassen hatten wurden aufgeschreckt, zerstreuten sich in alle Richtungen. Woher kam der Beschuss? Wie sich verhalten?
Die meisten Menschen reagieren bemerkenswert unbeirrbar. Den ganzen Tag waren ähnliche Detonationen in und um die Stadt zu hören. Den ganzen Tag gingen die Menschen aber auch weiter in die Wahllokale. Es mögen um die dreissig Detonationen gewesen sein in und um die Stadt zwischen sieben Uhr morgens und vier Uhr nachmittags, dem Zeitpunkt an dem die Wahllokale schlossen. Von wem die Geschosse abgefeuert wurden ist nicht immer klar. Taliban oder Handlanger in ihren Diensten, die gegen Geld Raketen abfeuern sind Legion. Am Nachmittag, so erfahre ich von einem Mitglied der afghanischen Wahlkommission, beteiligt sich auch das deutsche Militär am Beschuss von mutmasslichen Taliban in einem Bezirk rund 10 Kilometer ausserhalb der Stadt.
Der Mann, der mir das mitteilt, erzählt er sei dort drei Stunden lang eingekreist gewesen von Gegnern der Regierung. Mit dem Polizeichef von Kundus haber er telefoniert und um Verstärkung gebeten, vergeblich. Er könne ihm nicht helfen, zu wenig Männer und zu hohe Verluste in den vergangenen Wochen. Der Wahlkommissar greift erneut zum Thuraya, ruft jetzt den Kommandeur des deutschen PRTs an. Vor dort sei dann auch geschossen worden, erzählt er.
Auf dem Land und in den Dörfern der Provinz hat keine geordnete Wahl stattfinden können gestern, Es fehlte an Polizei und Armee. Die offizielle Liste der offenen Wahllokale war von Anfang an trügerisch formuliert um nach aussen hin ein gutes Bild abzugeben. Ausserhalt der Distrikt Hauptstädte gab es kaum unabhängige Beobachter.
In der Stadt dagegen verlief der Wahltag, vor diesem Hintergrund, vergleichsweise unbeirrt. Natürlich bleiben auch hier Menschen zuhause, Frauen vor allem. Abgesehen von der Mittagszeit, wo gegessen wird, waren die Wahllokale, die ich mir angesehen habe überwiegend gut besucht, zum Teil standen die Menschen am Vormittag Schlange.
Man belächelt die Afghanen insgeheim, wenn sie im Gespräch äussern sie kennten keine Furcht, Krieg gehöre zu ihrem Alltag und begleite ihr Leben seit jeher. Fast inflationär finden sich solche Zitate in unseren Medien. Oft mißinterpretiert als eine Form naiven Heroismus.
Die jungen Frauen von FEFA, die den ganzen Tag als unabhängige Beobachter nachgeschaut haben an den Urnen, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht, waren in ihrer Zielstrebigkeit nicht zu bremsen, gut gelaunt, und von einer beeindruckenden Zuversicht.
Gerade jüngere Menschen sind auf unaufgeregte Art entschlossen etwas beizutragen, damit ihre Gesellschaft sich verändert. Eine 18-jährige Journalistin, die ich getroffen haben, hat überhaupt kein Verlangen andere Länder zu sehen. Zumindest nicht jetzt. Weder Iran noch Europa oder die USA. Nicht weil der Westen ihr nichts bieten könnte. Sondern weil sie täglich Möglichkeiten und Grenzen durchmisst, in einem Leben, in dem sie sich einen Traum vor Augen hält: Staatsanwältin zu werden. Journalismus ist für sie eine Zwischenstation. Täglich berichtet sie über all das, was nicht machbar ist für Frauen in Kunduz. Ihren Optimismus schöpft sie aus vielen kleinen Veränderungen im Alltag. Einige ihrer Interviews werden, über den Äther, zum Stadtgespräch. Hörer sprechen ihr und sich Mut zu. Ihr Bruder, etwas jünger als sie, sagt: deine Arbeit als Journalistin bringt uns noch um. Sie macht trotzdem weiter. Letztlich scheint es der Familie ernst zu sein mit den Möglichkeiten ihrer Tochter.
Vieles ist ein Kampf gegen die Angst. Reale wie eingebildete Ängste. Wie gross die Gefahr wirklich ist, ist schwer zu sagen. Sich an die Maßstäbe der Bundeswehr zu halten ist nicht immer der beste Rat. ‚Wenn das Militär mit ihren gepanzerten Fahrzeugen mit 60 oder mehr km/h durch die Innenstadt rollt und ein Kind dabei zu Schaden kommt, ist in einem Moment unsere Arbeit von mehreren Monaten dahin und wir sind in Gefahr’, sagt ein deutscher Entwicklungshelfer in Kunduz. Das Offizierskorps der Bundeswehr, fügt er hinzu, habe aber auch gelernt mittlerweile. Oben auf dem Plateau von Kundus, wo auch die Neustadt ensteht, liegt, von einer kilometerlangen Mauer eingezäunt, das Camp des deutschen Wiederaufbauteams. Journalisten und Kamerateams aus Deutschland suchen in diesen Tagen dort Sicherheit. Selten sind sie in der Stadt anzutreffen. Essen und schlafen tun sie ‚embedded’ mit den rund 700 Soldaten der Bundeswehr, die sich unter freiem Himmel im Lager einen Beach-Volleyball-Platz eingerichtet haben.
Das ARD-Fernsehteam, das ich am Morgen des Wahltags in einer der Schulen sehe besteht aus zwei afghanischen Mitarbeitern, die Mikrofon und Kamera bedienen. Es ist Usus geworden, dass die afghanischen Mitarbeiter für deutsche Medien den Ertrag einfahren und am Ende des Tages ihre Bänder oben beim PRT abliefern. Sie werden dafür gut bezahlt. Eine Versicherung haben die afghanischen Kollegen trotz allem nicht.
Abgesehen vom Vertreter des Auswärtigen Amtes, der in zivil unterwegs ist, treffe ich am Wahltag keinen Ausländer. Die Wahlbeobachter der EU, ein knappes Dutzend, hätte den ganzen Tag im Bau der afghanischen Wahlkommission gesessen, heisst es. Sie liessen sich dort von afghanischen Mitarbeitern über die Wirklichkeit draussen briefen.
Für mich und mein Team sind die Interviews in der Stadt jeden Tag mühsamer geworden.
Die Menschen meiden den Kontakt, einige wollten schon Tage vor der Wahl nicht mit Ausländern gesehen werden.

(siehe auch Tagesspiegel vom 22.8.09)

Kundz Portraits: Obama-Imitat und Mutter Courage


Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.

Wer wählt, begibt sich in Gefahr
Impressionen vor einem entscheidenden Tag

Aliullah habe ich im Lincoln-Center getroffen, bei einem Workshop für junge Blogger. Die Hälfte der Teilnehmer waren junge Frauen. In Kundus gibt es seit einem Monat ein amerikanisches Kulturzentrum. Hunderte von englischsprachigen Büchern, Bildbänden und Videos stehen in den Regalen. Ein Dutzend Computer zur kostenlosen Nutzung machen den Nachwuchs von Kundus mit dem Internet vertraut. Die Amerikaner klotzen, auch bei der Kultur. Ein vergleichbares deutsches Kulturzentrum gibt es nicht, obwohl zivile und militärische Helfer aus der Bundesrepublik massiver vertreten sind in der Stadt als Amerikaner.

„Ich hoffe auf einen Wechsel“, sagt Aliullah. Er ist 19 und darf zum ersten Mal wählen. Sein Favorit heißt Abdullah Abdullah, der gelernte Augenarzt und vormalige Außenminister unter Präsident Karsai. „Er kann die Jüngeren begeistern“, findet Aliullah. Karsais Mannschaft sei zu alt und verbraucht. Ja, Gespräche mit den Taliban müsse es geben, auch unter einem nichtpaschtunischen Präsidenten. Allerdings hat es nur für wenige Jahre einen nichtpaschtunischen Staatsführer gegeben in der Geschichte Afghanistans. Das Gesetz der Regel spricht gegen Abdullah.

Mahbooba, die vom Alter her Aliullahs Mutter sein könnte, möchte von all dem nichts wissen. Sie wird nicht wählen gehen. Als ich anfange, nach Politik und Wahlkampf zu fragen, schaltet sie auf Abwehr. „Jeder sucht doch nur seinen persönlichen Vorteil. Die im Namen von Politik und von Parteien agieren, haben das Land in den vergangenen Jahrzehnten dahin gebracht, wo es jetzt steht.“

Mahbooba leitet die größte Textilfabrik von Kundus. Hier arbeiten rund hundert Frauen an Pfaff- Nähmaschinen. Die Hälfte der Belegschaft ist heute zu Hause geblieben. Aus Sorge um die Sicherheit. Nachrichten von Schießereien und Anschlägen auf der Hauptstraße zwischen Baghlan und Kundus in den Vortagen haben die Runde gemacht. Die beiden Tage vor der Wahl gibt Mahbooba der Belegschaft frei. Niemand will ein unnötiges Risiko eingehen.

Die afghanische Wahlkommission hat eine Liste herausgegeben, auf der sämtliche Wahllokale in Kundus aufgeführt sind. Im Büro der unabhängigen Wahlkommission Fefa hält man solche Papiere für Augenwischerei. „Viele der Lokale können in Wahrheit gar nicht aufmachen“, sagt Fefa-Mitarbeiter Habib. „Wir kennen die Lage in den Orten. Es sind Wahllokale aufgelistet in Dörfern, wo sich nicht einmal die Polizei aufhält.“

Das Telefon klingelt. Habib legt enttäuscht auf. Neun Mitarbeiter haben sich abgemeldet für den Wahltag. Offenbar ist es ihnen zu gefährlich. Ob das Nato-Militär die Wahlen sicherer gemacht habe? Nein, sagt Habib, das glaube er nicht. Für Aliullah ist Wählen Pflicht. Auch in seiner Familie wird diskutiert, wann der beste Zeitpunkt ist, sich auf den Weg zum Wahllokal zu machen. Vermutlich nachmittags, meint Alliulah, „bis dahin können wir uns hoffentlich ein Bild von der Sicherheitslage machen.“

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 19.08.2009)

Kunduz Portraits: Polizeichefin ohne Waffe


Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.

Afghanische Polizistin im Einsatz für die Frauen
Wie die 29-jährige Polizeibeamtin Marzia in Afghanistan gegen die häusliche Gewalt kämpft - ohne Waffe und ohne Schießausbildung. Ein Porträt.

Marzia kommt eine Stunde zu spät zu unserem Treffen. Am Morgen habe es in der Stadt einen Selbstmordanschlag gegeben. Sie habe sich erst vergewissern müssen, ob der Tatort auf dem Weg zu ihrer Arbeit liege und was passiert sei. Die Entwarnung erreicht sie etwas später, per Telefon. Eine wirkliche Erleichterung ist es nicht: Ein Selbstmordattentäter hatte sich kurz vor der Stadt vor einem Nato-Militärfahrzeug in die Luft gesprengt. Keine Opfer, heißt es. Dafür noch mehr Anspannung.

Marzias Schreibtisch steht in der Polizeikommandantur. Mit 29 ist sie die jüngste Beamtin in der Stadt, aber mit bereits zehn Jahren Berufserfahrung – daher ist sie auch Chefin von einem Dutzend Kolleginnen. Marzia trägt keine Waffe. Eine Schießausbildung hat sie nie erhalten. Ihr Gegner ist für sie schwer greifbar und doch allgegenwärtig: Es ist die häusliche Gewalt, die Frauen durch ihre eigenen Männer oder Angehörige erleiden. Marzias Waffe ist ihr psychologisches Feingefühl. Sich anbahnende Scheidungen zu verhindern, die Frau zu ihrem Recht kommen zu lassen, dafür sei sie zuständig. Sie sei für die Gepeinigten eine Anlaufstelle. Aber wie viele kommen wirklich? Ein bis zwei Fälle pro Monat, sagt Marzia und gibt zu, dass es in Afghanistan schon Mutes bedarf, um sich als Frau alleine auf den Weg zur Polizei zu machen. Und was kann sie den Frauen anbieten? Es werde ein Protokoll des Tathergangs erstellt, der Ehemann müsse sich per Unterschrift verpflichten, keine Gewalt mehr auszuüben. Aber, gibt Marzia zu, die Chancen dies tatsächlich zu überprüfen, seien gering. Kontrollbesuche der Polizei in Familien seien nicht üblich. Alle zwei Wochen kommt die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation und tauscht mit ihr Informationen zur Sicherheitslage und zur Situation der Frauen aus.

Und insgesamt gibt es für die nach Marzias Ansicht in Kundus viel Fortschritt. Ihnen stünden neue Berufe offen, aber allein schon, dass viele wieder arbeiten könnten, sei wichtig. Ihr Gehalt beträgt umgerechnet 180 US-Dollar. Mit ihrem Mann, der Taxi fährt, hat sie drei Töchtern. Miete, Autoreparaturen und Einkäufe, die Familie käme gerade so über die Runden, sagt sie. Schon Marzias Mutter war Polizistin, sie schaffte es bis in den Offiziersrang. Jetzt ist sie im Ruhestand – und so stolz auf ihre Tochter wie die auf sie. Und dass Marzia auch bei den Kollegen Respekt und Ansehen genießt, ist deutlich zu sehen. Auch daran, dass eine Begegnung mit zwei jungen Beamten von einem älteren Kollegen beaufsichtigt wurde, das Gespräch mit ihr aber völlig ungestört bleibt.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 13.08.2009)

Kunduz Portraits: forever young


Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.


Versprechen beim Tee
Wer in Afghanistan gewählt werden will, muss Gäste bewirten und konkrete Hilfe zusagen. Besuch in einem Wahlbüro.

Noch neun Tage bis zur Wahl. In alle Richtungen schwärmen Polizeifahrzeuge aus. Auf der Ladefläche sitzen ein halbes Dutzend Polizisten, einige mit Kalaschnikow, andere mit Helm und kleinen Granatwerfern. Angekündigt ist Besuch aus Masar. Die Chefs von Polizei und Armee für die nördliche Region sind gekommen, um sich über die Sicherung der Wahlen zu beraten. Zwischen den beiden schreitet ein deutscher General zur Begegnung mit dem Gouverneur. Ausnahmsweise helfen ausländische Soldaten, die Zufahrt zur Polizeikommandantur zu bewachen. Ihr afghanischer Übersetzer vergräbt sein Gesicht hinter einem Tuch und schwarzer Brille, um nicht erkannt zu werden. Fußgänger und Autos müssen Umwege in Kauf nehmen.

Die jungen Polizisten an den Checkpoints reagieren nervös. Zwischen ausladenden Helmen und Kinnriemen stecken kindliche Gesichter, die unruhig mit der Kalaschnikow vor unserem Auto gestikulieren. „Die jungen Männer in Uniform sind nicht wirklich qualifiziert für diese Art von Situation“, merkt mein afghanischer Begleiter an, „vorerst müssen wir mit dem leben, was wir haben“. Es herrscht eine merkwürdige Stimmung in der Stadt. Einerseits ist jeder Kontakt im Basar nach wie vor herzlich. Zugleich will niemand mit Ausländern auf der Straße gesehen werden.

Wir gehen in ein unscheinbares Lehmhaus, eine wackelige Holztreppe hoch. Ich treffe Shafiqullah. Mit 24 ist er der jüngste Bewerber, der bei den gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl stattfindenden Provinzratwahlen kandidiert. Er begrüßt mich mit festem Händedruck und einem angedeuteten Kuss auf die Wangen. Jeden Tag empfängt er bis zu 60 Gäste. Der Jugendverband, der ihn vor Jahresfrist mit einer Unterstützung von 2000 US-Dollar zur Kandidatur bewegt hat, macht sich rar. „Ich habe noch keinen Pfennig von ihnen gesehen“, klagt er. Jeden Tag hat Shafiqullah hohe Ausgaben – seine Gäste wollen bewirtet werden. „Sie erwarten auch ein Versprechen“, merkt er an. Den Bau einer neuen Schule, die Schlichtung eines Landdisputs oder eine stabile Stromversorgung. Was kann er ihnen zusagen? Er mache seine Aufwartung beim Bürgermeister und dem Gouverneur, begleitet von Älteren, sogenannten „Weißbärten“, auf deren Urteil gehört wird. Garantieren könne er nichts. Shafiqullahs Währung heißt Hoffnung.

Ein Mann mit Turban und Bart ist schon am frühen Morgen bei ihm im Büro. Sein rechter Arm ist amputiert. „15 Jahre Kampf“, merkt er mit einem Lächeln an. Erst gegen die Russen, dann im Bürgerkrieg. Gegen die Russen seien damals auch Kinder gefangen genommen worden. Einen dieser Jungen hätten er und seine Kämpfer in Kundus behalten. Er habe ihn aufgezogen, überzeugt davon, das Richtige zu tun. Heute sei der Junge, der einst ein russisches Kind war, erwachsen, konvertiert und habe zwei Kinder. Sie alle lebten friedlich unter einem Dach. Der Mann handelt heute mit Prothesen für Kriegsversehrte. Zu Shafiqullah ist er gekommen, um ihm seine Unterstützung zuzusagen. Er werde seiner gesamten Belegschaft und ihren Angehörigen empfehlen, für ihn zu stimmen. Denn Shafiqullah sei jung und nicht durch den Krieg verdorben.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 11.08.2009)

Kunduz Portraits: Offensive als Show ?


Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
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"Die gemeinsame Militäroperation von Deutschen und Afghanen vor Wochenfrist hat zu keinem positiven Ergebnis geführt", erklärt Fefa-Leiter Sayed Rahim Mosavy. Eine große Show sei das gewesen.

Fefa, die einzige unabhängige Organisation afghanischer Wahlbeobachter, ist bekannt für eigenständiges Denken – und das ist keine Selbstverständlichkeit in der zunehmend hierarchisierten afghanischen Wirklichkeit. „Die gemeinsame Militäroperation von Deutschen und Afghanen vor Wochenfrist hat zu keinem positiven Ergebnis geführt“, erklärt Fefa-Leiter Sayed Rahim Mosavy. Eine große Show sei das gewesen, findet er. Es sei nur logisch, dass Polizei, Armee und Nato-Militär so kurz vor den Wahlen um eine gute Presse bemüht seien.

Im Fernsehen zeigte Kundus-TV vier festgenommene Taliban, die mit den Köpfen zur Wand stehen, die Arme mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Stalinistische Bilder. Einer der Männer ist durch einen Streifschuss am Fuß verletzt. Daneben zeigt die Kamera auf einem Tisch einen Zünder, Kabel und eine Tellermine. Eine Gruppe afghanischer Journalisten ist auch da und rätselt über die Identität der mutmaßlichen Täter. „Fragen stellen war nicht erlaubt“, sagt einer von ihnen später. Demonstrative Festnahmen dieser Art häuften sich, je näher der Wahltermin rücke.

General Abdul Resaq Yaqubi, der Polizeichef von Kundus, täuscht eine große Ruhe vor. Dabei geht sein Atem schwer. Die Verantwortung drückt sichtlich auf seine Schultern. Der General empfängt uns im hintersten Winkel seines Arbeitszimmers, wo ihn dicke Plüschsessel einrahmen.

„Von meinen eigenen Leuten suchen viele nur einen geldwerten Vorteil. Mit allerlei Mitteln“, sagt er leise und atmet tief aus. Sein Gesicht drückt Skepsis aus, aber wenn er spricht, hört man über die Deutschen und das US-Militär in Kundus nur Lob von ihm. Brücken, Straßen, Bildungseinrichtungen seien entstanden. Es klingt alles ein wenig aufgesagt. An der Wand hängt eine Karte der Provinz Kundus mit kleinen Pappfiguren und Schablonen. Wie in einem Strategiespiel. „Der Sicherheitsplan für die Endphase des Wahlkampfs“, erklärt er mit einem Zeigestab aus Metall. 400 Polizisten mehr erwarte er aus Kabul. Wie wahrscheinlich das sei? 90 Prozent, sagt er. Seine Mimik spricht eine andere Sprache.

Die Stadt sei ruhig, meint der Polizeichef, bevor unser Tee zur Neige geht. Zwei Stunden später wird ein französischer Journalist Zeuge einer wilden Schießerei, einen Steinwurf vom Polizeikommissariat entfernt. Mehrere Wagen mit aufgepflanztem Maschinengewehr auf dem Kühler verfolgen ein verdächtiges Auto. Mitten im Basar wird scharf geschossen, ein halbes Dutzend Mal. In Panik rennen Menschen in Geschäftseingänge. Nicht jeder findet Schutz. Weinende Stimmen von Frauen sind zu vernehmen. Andere straucheln in der Menge, gehen zu Boden.

Prognosen, selbst des amtlichen Polizeichefs, haben kurze Halbwertzeiten.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 09.08.2009)

Kundus Portraits: Filmdreh mit Folgen




Hier ist eine Reihe von Kurzportraits und Eindrücken der letzten Wochen aus Kunduz.
Die Beiträge sind auch im Tagesspiegel abrufbar.

Ich konnte sie bisher nicht in den Blog stellen, weil das Internet hier zu langsam arbeitet.

Filmdreh in Afghanistan
Ein 19-jähriger Schüler dreht einen Film – jetzt hat er Schulden und Feinde. Sein Stamm hat sich von ihm distanziert - doch gleichzeitig ist die Region stolz auf ihn.

Früher wurden die Träume junger Filmenthusiasten auf Zelluloid gebannt. Heute gibt es Handycams. Die Wirklichkeit wird digitalisiert, überall auf der Welt. Längst auch in Kundus, wo der Staub ohnehin ein Feind herkömmlicher Filmbänder ist. Träume haben die jungen Menschen hier viele. Von einem freieren Leben, Wohlstand und ein wenig Unterhaltung.

Gulham ist 19, geht noch zur Schule und hat sich gleich zwei Wünsche erfüllt. Er hat einen Film gedreht und spielt auch die Hauptrolle darin. Eine Liebesgeschichte, die tragisch endet und in der die Frau seiner Wünsche von Männern mit Waffengewalt von ihm getrennt wird. Dramaturgisch ist der Film ein Abklatsch von Bollywood. Die Bösen tragen Bärte, Turbane und blicken finster drein. Gulham als Held im Film trägt glitzernde Nylonhemden in grellen Farben.

300 Jugendliche und erwachsene Würdenträger kommen zur Vorführung in eine Aula am Rande der Stadt. Früh um 8.30 Uhr geht es los, steht auf der Einladungskarte. Um halb elf werden immer noch Lobreden gehalten. Lange Zeit hat sich hier kein Jugendlicher an ein so aufwendiges Unternehmen gewagt. Jetzt hat Gulham Schulden. Und er hat sich Feinde gemacht mit dem Film. Auch und gerade in der eigenen Familie. „Je mehr ich gedreht habe in den vergangenen vierzehn Monaten, desto mehr haben sich mein Dorf und mein Stamm gegen mich gestellt“, erzählt er. Sie mieden ihn, er könne nicht mehr zu ihnen aufs Land fahren.

Warum? „Film und Schauspielkunst gelten ihnen als unrein, als etwas, das die Ehre der Familie beschmutzt.“ Nur sein Vater, der den größten Teil des Geldes zugeschossen hat, stehe zu ihm. Die Filmvorführung wird überlagert vom Röhren der Ventilatoren. In der Aula ist es stickig und heiß. Der Vertreter des Ministeriums für Kultur und Information, der sich an diesem Morgen die Ehre gibt, lässt es an Ambivalenz nicht missen. „Es ist gut, wenn junge Menschen aus Afghanistan Filme für die Menschen in Kundus machen. Wir importieren ja sonst nur Filme aus dem Ausland. Viele davon können Vater und Tochter nicht einmal gemeinsam zu Hause ansehen. Immer wieder sind es Geschichten, in denen ein Mann und eine Frau sich verlieben und am besten küssen sollen. Aber sieht so wirklich ein Film aus“, fragt er.

Der Konflikt liegt förmlich in der schwülen Luft der Aula von Kundus, ist mit Händen zu greifen. Aber er verhallt. Keiner würde eine solche Frage hier ernsthaft öffentlich diskutieren. Stattdessen sind alle stolz. Als Gastgeber in Kundus haben sie den Gästen aus Kabul bewiesen, dass auch in der Provinz Filme entstehen. Und das unter schwierigen Sicherheitsbedingungen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 07.08.2009)