Sonntag, 26. April 2009

Ehegesetz: Schiiten siegen über Schiiten




Im Westen nichts Neues: In der Berichterstattung um das umstrittene afghanische Ehegesetz zementieren deutsche Medien ihre Vorurteile gegenüber Afghanistan und seinen Gläubigen. Der Tagesspiegel hat mir dieses Stück abgenommen.

Immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass Präsident Karsai das umstrittene Gesetz entschärfen wird, wie von der internationalen Gemeinschaft in den wichtigsten Punkten gefordert. Karsai hat heute selbt zugegeben, er habe nicht gewusst, was genau er da unterzeichne. Er habe seine Berater für solche Dinge.

Hier ist ein Versuch von Scott Bohlinger, einem Bekannten, der ebenfalls journalistisch in Afghanistan aktiv ist, Licht in das Verhältnis von islamischem Recht und schiitischem Rechtsverständnis zu bringen, denn nur darauf bezieht sich das umstrittene Gesetz.

Interessant ist auch eine Entdeckung, die ich in der Bibliothek einer Kabuler Hochschule mache:
“Dieser Text beschreibt die Bedingungen einer Ehe, in der der Mann seine Verpflichtungen gegenüber der Frau erfüllt und diese ehrt. Als Teil des Ehevertrags willigt der Mann ein, dass seine Frau sich weiterbildet. Er hilft ihr im Haushalt. (…) Im Fall einer Scheidung werden die Güter zwischen Mann und Frau anteilig aufgeteilt. (…) In diesem Buch werden die Bedingungen einer gedeihlichen Ehe aufgezählt. Sie sind vereinbar im Rahmen der Shari’a und der afghansichen Gesetze. In einigen Fällen werden vergleichbare Fälle aus anderen Ländern herangezogen“.
So heisst es in einem kleinen Band, der in der Bücherei der Ketab-Instituts in Kabul steht. (Bild)
Das Ketab-Institut ist eine schiitisch geprägte Privat-Universität in der Hauptstadt. Fast alles in dem kleinen Heftchen steht in deutlichem Widerspruch zu den Negativ-Schlagzeilen über Afghanistans Schiiten und über das umstrittene Ehegesetz in den vergangenen Wochen.
Der Westen macht es sich leicht: eine kleine Gruppe radikaler Geistlicher wird mit einem Land und seiner vermutlich fortschrittlichsten Bevölkerungs-gruppe gleichgesetzt.
Tatsächlich vertreten Afghanistans Schiiten, von denen der grösste Teil der Ethnie der Hazara angehört, vergleichsweise offen Positionen in Fragen der gesellschaftlichen Moral.
Das Ketab-Institut, gerade einmal ein Jahr alt, ist so etwas wie die Speerspitze der säkulären Schiiten in Afghanistan.
In der Bücherei stehen neben Schriften zum Zivilrecht auch Werke von Nietzsche. 700 Studenten erhalten hier Unterricht in den Geisteswissenschaften Soziologie, Politologie, Philosophie sowie Islamstudien und Jura. Die Sharia und ihre Auslegung werden hier wohlgemerkt nicht gelehrt.
“Die Schiiten in Afghanistan sind eine dynamische Gruppe und wir lassen nicht zu, dass dieses Bild durch das neue Ehegesetz verfälscht wird“, entgegnet Mohammad Ahmadi zuvorkommend. Der Präsident nennt das Ketab-Institut einen wichtigen Akteur im aktuellen Streit um das Ehegesetz.
Schon vor Monaten hätten er und seine Kollegen versucht, die umstrittenen Passagen zu entschärfen. Parlament, Justizministerium und der Präsidentenpalast seien in die Gespräche mit einbezogen gewesen. Eine leicht entschärfte Version des Gesetzes-Textes, die der Frau ausdrücklich das Recht bescheinigt, das Haus eigenständig zu verlassen, sei aber bis heute nicht im offiziellen Amtsblatt erschienen.
“Karsai scheut den Konflikt mit den Konservativen“, erklärt Ahmadi, „er hat ausserdem schwache Berater. Und er hat die Dimension der Sache ganz offenbar unterschätzt“, so Ahmadi. Karsais Kompromiss-Kurs gegenüber konservativen Mullahs auf sunnitischer wie schiitischer Seite sei es auch, der die Taliban wieder stark gemacht habe.

Das Gegenstück zur säkularen Kateb-Universität ist das wenige hundert Meter entfernt liegende Khatam Al Nabi’in-Seminar. Der imposante Bau mit der blauen Kachel-Kuppel, die das gesamte Parlamentsviertel überragt, ist ausschliesslich mit iranischen Geldern finanziert, heisst es. Der Ayatollah Mosheni, der sich den Führer der Schiiten in Afghanistan nennt, gibt hier den Ton an. Wirklich Rückhalt in der Bevölkerung geniesst er nicht, wenn ich meinen Gesprächspartnern Glauben schenke.
“Die Mehrheit der afghanischen Schiiten lehnen seinen Führungsanspruch ab. Er hat eine Vergangenheit als Mujahed-Kämpfer und er ist ein Paschtune. Wie Präsident Karsai stammt er aus Kandahar. Die meisten Schiiten sind Hazara und trauen ihm nicht“, meint Ali Karimi, Dozent an der Universität Kabul.
“Mosheni steht für eine politisch-ideologische Auslegung des Islam wie sie im Iran praktiziert wird. Er hat zwanzig Jahre dort im Exil gelebt“, sagt Ali Amiri, von der Kateb-Hochschule.
Er und seine Kollegen sind zuversichtlich, dass das Gesetz bis kommenden Monat entschärft wird. „Wie es aussieht wird es zu einer Reform kommen. Wir sind uns da sicher.“ Erste Gespräche mit einflussreichen Politikern, der Schlichtungskommission sowie dem Justizminister deuteten darauf hin. Demnach sollen 10 Artikel aus dem Gesetzestext herausfallen, darunter die umstrittenen Passagen, sowie 20 Artikel überarbeitet werden.
Neben den Punkten, die international für Aufsehen sorgen, macht sich die Ketab-Universität u.a. für das Recht der Frau stark, sich ihren Ehepartner unabhängig vom Willen des Vaters auszusuchen. Auch das unveränderte Recht auf Grund- und Boden für Eigentümer, die als drogenabhängig gelten steht auf der Streichliste.
“Wir brauchen eine moderne, rationale Auslegung des Islam“, argumentieren die Dozenten an der Kateb-Hochshule. „Die jungen Menschen haben viele Fragen an den Islam und ihre eigene Religion. Wir müssen sie argumentativ überzeugen, nicht mit Traditionen und Ritualen“, so Amiri.
“Der heilige Koran sagt: sei gut zu deiner Frau“, zitiert Insituts-Leiter Mohammad Ahmadi das heilige Buch, auf das sich auch seine internen Rivalen berufen. Es scheint, als stehe die Auseinandersetzung um ein neues Schiitentum in Afghanistan erst am Anfang.

Freitag, 24. April 2009

Kunduz, abseits der Raketen





“Willkommen im PRT Kunduz“ steht über dem Eingangtor des deutschen Militär-Lagers im Nordosten, 7 Autostunden von Kabul entfernt. Tatsächlich schaudert es mich. Hier stehe ich, umgeben von Stacheldrahtzaun, meterhohen Abwehrmauern gefüllt mit Kies und engmaschig verdrahtet. Vor mir ein Weg aus Kiessteinen, der auf eine schwere Metalltür zuführt. 30 Meter Weg, die mir vorkommen wie in Orwells ‚1984’. Kein Mensch zu sehen, aber die Gewissheit, dass jeder meiner Schritte genau überwacht wird von Kameras, die ich spontan nicht ausmachen kann. Es heisst, die deutschen Soldaten fürchteten sich vor dem Afghanistan ‚da draussen’. Der Aufwand für äußere wie innere Sicherheit im Lager von Kunduz kostet den deutschen Steuerzahler einen Teil der über 600 Millionen Euro, mit denen das Afghanistan-Engagement mittlerweile zu Buche schlägt.
Ich werde freundlich und mit sächsischem Akzent begrüstst und abgetastet. Von einem Soldaten in wüstenfarbener Uniform und mit hellblauen Plastikhandschuhen. Er freut sich über mittlerweile 12 Tage ohne Raketeneinschlag im und um das Lager. Geschossen werde meist aus 6-10 Kilometer Entfernung, heisst es. Die Geschosse der ‚Insurgenten’, wie ein Gesprächspartner Taliban und andere Gegner nennt, hätten eine geringe Zielgenauigkeit. Es bleibt eine gefährliche Lotterie, vor allem für die ungeschützt wohnende afghanische Bevölkerung auf dem Plateau der Neustadt von Kunduz.
Im PRT ist man der Ansicht, die Präsenz von deutschem und internationalem Militär sei unabdingbar, sonst würde die Taliban in neuem Gewand wieder zurückkommen. 9/11 wird als Drohkulisse bemüht. Die zivil-militärische Zusammenarbeit will hier, anders als viele Hilfsorganisationen, keiner grundsätzlich in Frage stellen. Die meisten haben vermutlich nur eine schwache Ahnung davon, dass sie nicht als die Geleitführer der zivilen Helfer geschätzt werden.
Ich habe vor dem Besuch im PRT meinen pirhan tambon abgelegt. Die afghanische Kleidung, die mich in der Stadt unauffälliger machen soll, würde mir hier, milde gesagt, zum Nachteil gereichen.

In deutschen Medien erfahren wir über Kunduz kaum mehr als ein paar Schlagzeilen. Granateinschläge in Nähe des Militärcamps. Gefährlicher Norden. Stimmt das Bild? Was ist mit dem Alltag?
In Kunduz tickt die Zeit anders als in Kabul, wo Geschäftigkeit und Zeitdruck herrscht. Zeit und Pünktlichkeit spielen hier eine untergeordnete Rolle. Das ganze Zentrum ist ein einziger pulsierender Bazaar. Motorisierte Rikschas nehmen Passanten mit statt Taxen. Der Ausländer, der sich zu Fuss bewegt, ist eine seltene Sepzies.
Mich interessiert, wie meine afghanischen Gesprächspartner die deutsche und ausländische Präsenz hier im Norden wahrnehmen. Die Meinungen gehen auseinander. Die einen bescheiningen der Bundeswehr ordentliche Kontakte mit Behörden, Schuras und afghanischen Journalisten. Andere verweisen auf die Parallelwelt, in die das Militär sich zurückgezogen habe, mit Patrouillen aber ohne wahre Begegnung mit der Bevölkerung. Tatsächlich traf Frau Merkel bei ihrem Besuch neulich in Kunduz mit keinerlei Einheimischen zusammen.
Auch die in NATO-Kommuniqués regelmäßig behauptet gute Zusammenarbeit zwischen afghanischer Armee und ausländischem Militär könnte nicht mehr als eine blosse Behauptung zu sein. Meine Gesprächspartner, die beide für internationale Medien arbeiten, verweisen auf viele anderslautende Beispiele und auf die Tatsache, dass im Süden unverändert zum Teil rabiate Hausdurchsuchungen stattfinden. Das allein sei ihnen Beweis für das Gegenteil: „Afghanische Soldaten würden bei so etwas nicht mitmachen, weil es gegen die Traditionen unseres Landes verstösst“.
Über die Provinz Wardak, südlich von Kabul, höre ich heute Abend von berufener Seite zum ersten Mal, dass US-Einheiten bei ihren Versuchen, die 'Herzen und Köpfe' der Menschen zurückzugewinnen mittlerweile z.T. auch umsichtiger auftreten und sich Ratschläge anhören. Unter anderem sind zivil-militärische Experten in Krankenhäusern unterwegs, um sich die Nöte und Wunschlisten der Bevölkerung sagen zu lassen.

Zurück zum Norden: In Faizabad treffe ich auf eine Patrouille mit 7 deutschen Militärwagen, die im Schritt-Tempo den Berg herunterkommen und in diesem Fall mäßig bewaffnet sind. Weiter südlich von Kunduz, bei Pul-e-Khumri, sind es schwere Panzerfahrzeuge mit Maschinengewehr im Anschlag, die auf uns zu- und vorüberfahren. Wenn die ISAF oder Amerikaner auf der Strasse sind, gilt ein eigenes Strassengesetz: auf keinen Fall überholen. Sonst droht Lebensgefahr. Das führt regelmäßig dazu, dass sich hinter den Militärkonvois zum Teil kilometerlange Staus bilden, die für erheblichen Unmut sorgen. Diese Woche war unter anderem am Salang-Tunnel, einem wichtigen Nadelöhr für den Verkehr von Nord nach Süd, kein Durchkommen wegen eines Militär-Konvois, der im Schnee verrutscht war. Die Spannung ist zum greifen, wenn – wie neulich auf dem Hinweg nach Kunduz – eine NATO-Konvoi halt macht in einem Dorf und alle Afghanen in Sicherheitsabstand parken und abwarten müssen (Foto).
“So kann man die Bevölkerung nicht gewinnen“, sagt einer meiner Begleiter, „es wird höchste Zeit, dass unsere eigenen Streitkräfte das hier in die Hand nehmen können.“

Möglicherweise könnte sich die Lage in der Provinz Kunduz für das deutsche Militär verschlechtern. Grund sind die Ereignisse vom vergangenen Monat: eine Sondereinheit des US-Militärs – eine Spezialtruppe unter den ‚special forces’ – war ohne Vorankündigung und zur Empörung der Deutschen auf dem Militärflughafen in Kundus gelandet und dann weiter nach Imam Saheb geflogen, wenige Kilometer entfernt. Dort soll angeblich eine kleine Anzahl verdächtiger Terroristen Unterschlupf gefunden haben. Was dann passiert ist hört sich grundsätzlich verschieden an, je nachdem mit welcher Seite man spricht: offizielle deutsche und us-amerikanische Vertreter reden von einem berechtigten Eingriff aufgrund einer konkret vorhandenen Gefahr. Afghanische Behörden und Medienvertreter, die sich vor Ort ein Bild gemacht und auf beiden Seiten recherchiert haben, sprechen von fünf Unschuldigen, die dabei ums Leben gekommen seien und einem falschen Alarm. Die Wahrheit übt sich in Geduld.
Deutsche Gesprächsparnter, die ich in Kundus treffe, meinen zuversichtlich, das Vorgehen der US-Einheiten im unmittelbaren Einsatzgebiet der Deutschen würde sich nicht negativ auswirken. Meine afghanischen Gesprächspartners sind wiederum gänzlich anderer Ansicht. „Die meisten meiner Landsleute unterscheiden nicht zwischen den einzelnen NATO-Staaten. Ausländer bleiben Ausländer.“
So füllt sich der Tag mit Ansichten, die sich wiedersprechen. Klar ist nur: Diejenigen, die diese widerstreitenden Ansichten am Besten miteinander austauschen sollten (siehe die NATO-Strategie, die ‚Hearts and Minds’ der Bevölkerung zu gewinnen) kommen gar nicht in Kontakt miteinander.

“Wenn ich eine Geschichte anzubieten hätte, dann über die Tschetschenen, die hier im Umfeld von Kunduz auftauchen“,sagt ein afghanischer Journalist, der auch für internationale Medien in Kundus arbeitet. 20 Tschetschenen oder mehr seien mittlerweile im unsicheren Bezirk Chahar Dara gezählt worden, auch Usbeken in ähnlicher Anzahl. Gouverneurs-Amt und lokale Sicherheitsbehörden hätten diese bestätigt.
Ob sich dahinter Selbstmordattentäter verbergen oder Extremisten mit politisch-taktischer Mission ist unklar. Anwohner im Bezirk Chahar Dara berichten von sogenannten ‚Nightletters’ die im Dunkeln verteilt werden. Darin werden u.a. Frauen in einer der Kliniken von Chahar Dara gewarnt, ihren Beruf weiter auszuüben. Vor zwei Monaten ist afghanisches Militär angerückt. Der Konflikt dauert an. Nicht sämtliche aber viele Entwicklungsprojekte in diesem Bezirk von Kundus liegen auf Eis. Zwei weitere Bezirke gelten als unsicher mit ‚Taliban’-Aktivitäten.
Junge Menschen werden geworben für ein paar Hundert Dollar im Monat sich dem Aufstand anzuschliessen.
Auf den ersten Blick sehe alles von Aussen normal aus, auch das Leben in Kunduz, sagt ein afghanischer Journalist, aber hinter der trügerischen Ruhe sorgten sich viele Menschen um ihre Sicherheit. Eine Situation, die eine freie Wahl im August im Grunde unmöglich mache.
„Ich bin skeptisch geworden“, sagt eine Afghanin, die bei einer Frauen-NGO Kleinkredite vergibt, darunter auch an junge Frauen im Beruf. Der Fortschritt insbesondere für Frauen in Kunduz in den letzten Jahren sei deutlich, aber jetzt möglicherweise gefährdet. Sie berichtet als Freelancerin für ein Monatsmagazin. In Läden und auf offener Strasse Interviews zu führen empfindet sie mittlerweile als Belastung.
Optimistischer ist Fatima, die jede freie Minute nutzt um entweder beim Radio mit einem männlichen Kollegen eine Live-Talkshow zu moderieren oder in einer Theatergruppe probt. Radio Rozha ist ein Frauen-Radio, das vor fünf Jahren gegründet wurde und in dem mir offene Redakteurinnen begegnen. Das Programm ist überwiegend von Programmen für weibliche Hörer konzipiert. Mittlerweile kann sich der Sender selbst tragen, aus Werbe-Einnahmen, erklärt die stellvertretende Chefredakteurin zuversichtlich.
Kunduz wie auch Faizabad und Badakhshan sind Provinzen, in denen die Menschen nach zivilen Projekten dursten. Das kann die Eröffnung einer Bibliothek sein oder eine Kulturorganisation, bei der endlich der Traum von einer Theatergruppe Wirklichkeit wird.

Falsches Blut





Dieses Bild stammt von einem Film-Dreh in Kunduz. Ein Team aus jungen Männern und einer Frau versucht, trotz aller materiellen und technischen Schwierigkeiten, ihren Traum von einem Spielfilm umzusetzen. Die weibliche Hauptdarstellerin im Film konnte nicht in Kunduz gefunden werden - das soziale Stigma gegen KünstlerInnen in der Öffentlichkeit ist zu gross - und musste in Kabul ‚angemietet’ werden. Beim Dreh ist eine Polizei-Streife dabei. Kostenlos. Die Polizisten drängen sich immer ins Bild, sehr zum Unmut des jungen Regisseurs. Jeder will im Bild sein. Das Drehbuch geht so: ein Vater verwettet seine Tochter (keine Fiktion). Der Gewinner der Wette hat einen weiteren Konkurrenten am Hals, der ihm die junge Frau streitig machen will. Es kommt zum Bandenkrieg, einer Tragödie. Am Drehort sind mehrere Kalaschnikows im Einsatz. Es herrscht ein Auflauf. Man tut gut daran sich zu vergegenwärtigen, welche der Geräte scharf schiessen und welche nicht.
Aziz, der Regisseur, dirigiert mit Verve die Schaar seiner Laiendarsteller. Alles ist learning by doing.
Das einzige Kino in Kunduz steht noch aber es laufen keine Filme mehr. Halbstarke spielen dort Billiard in den frühen Abendstunden. Die Mediothek, eine afghanische Initiative für unabhängige Medien die aus deutschen Mitteln mitfinanziert wird, bestärkt junge Leute wie diese in ihren künstlerischen Vorhaben. Die Szene in Kunduz bleibt, im Vergleich zu Kabul, aber extrem begrenzt.
Ein Filmausbildung gibt es in keiner der Provinzstädte. Die einzigen Kurse werden in Kabul angeboten. Gerade startet eine französische Doku-Film-Initiative ihren neuen drei-monatigen Kurs. Leider sind nur Nachwuchs-Filmemacher aus Kabul am Start. Auch hier wird einmal mehr die Provinz Afghanistans vernachlässigt, mit Folgen. Für Aziz und seinesgleichen bietet die Filminitative in Kabul ganze 20 US-Dollar pro Monat, kein Geld für Reise und Unterkunft. Das ist zu wenig zum Leben, zuviel zum Sterben.

The man who would be king





Weitgehend unbeachtet vom Ausland hat der Wahlkampf in Afghanistan offiziell begonnen. 39 Kandidaten, darunter ein paar Frauen, sind bisher im Rennen. 21 Bewerber mehr als bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren. Ein gutes Zeichen?, will ich von meinen Begleitern – einem Berater des Kulturministeriums und dem Leiter einer deutsch-afghanischen Hilfsorganisation - wissen, die mit auf dem Weg nach Kunduz und Faizabad sind.
Sie schütteln den Kopf. Die meisten Kandidaten würden Familien- und Stammes-Interessen verfolgen anstatt das Land als Ganzes im Auge zu haben. Sie beklagen die niedrigen Hürden, die das Wahlgesetz festlegt. Mit 10.000 Unterschriften und einem Startgeld von umgerechnet rund 2.000 US-Dollar sei man Kandidat. Das öffne Tür und Tor für wenig erfahrene Bewerber.
Über Handy empfangen wir alle eine sms in der es heisst: „Registrieren sich Sich jetzt für die Wahl, wenn Sie noch keine Gelegenheit dazu hatten.“ Es sind private Telefon-Gesellschaften, die die sms verbreiten. Sie arbeiten für den Staat, wenn es sich irgendwie rentiert.
Von einer Euphorie unter den Wählern kann keine Rede sein. Die wenigsten haben den Eindruck, dass irgendein Politiker sie angemessen vertritt. Das gilt für den Präsidenten ebenso wie für das Parlament.
Trotzdem scheint es, als halte Karsai mehr Trümpfe in der Hand, als es noch vor wenigen Wochen schien. Der Kabul-Besuch von US-Vizepräsident Biden hatte in den Medien den Eindruck erweckt, als hätte das Obama-Team den Count-Down des Mannes mit Pakul und Chapan eingeleitet und arbeite seither an seiner Demontage.
Die USA sind mehr als nur das Zünglein an der Waage: der aussichtsreiche Kandidat und voraussichtlich kommende Präsident wird von der US-Regierung auserkoren, bevor er ‚frei’ gewählt wird. Schon seit Wochen hält sich die gesamte politische Klasse in Afghanistan bedeckt und schaut nach Washington. Er wenn feststeht, wen die Obama-Regierung favorisiert, kommen alle aus der Deckung.
Trotz erheblicher Schwächen, Fehler, einer korrupten Regierung und fehlender Sicherheit im Land geniesst Karsai den Vorteil des Amtsinhabers: er ist landesweit bekannt (die meisten seiner Konkurrenten sind das nicht), verfügt über Hubschrauber, die ihn jederzeit schnell an irgendeinen Ort bringt; er kann den Medienapparat der Regierung wie der ‚privaten’ Sender nutzen, manipulieren oder zensieren (was faktisch stattfindet; trotzdem wäre es falsch, gerade im Vergleich zu den Nachbarstaaten Afghanistans von einer überwiegend unfreien Presse zu reden). Karsai hat – last but not least – indirekt Zugriff auf Gelder der Geberländer. Das jüngste Mammut-Projekt, den Bau der Strasse zwischen Kunduz und Faizabad (Foto) kann sich Karsai auf die Fahnen schreiben. Über 100 Kilometer fahren wir vorbei an neu eingerichteten Zementfabriken, Dutzenden von Baggern, Walzfahrzeugen und afghanischen Tagelöhnern, die in sengender Sonne Zentnerlasten ohne Behilfsmitteln schleppen.
Kanidaten mit Chancen, die sonst noch genannt werden sind Ashraf Ghani (ehemaliger Finanzminister in einem vorherigen Kabinett Karsais und selbst ein Paschtune) und Ali Ahmad Jalali, wie Ghani ein ehemaliger Weggefährte Karsais. Als Innenminister hat er seinerzeit die grassierende Korruption im Staatsapparat scharf gerügt und sich dann zurückgezogen. Auch er ist ein Afghane mit us-amerikanischem Pass.
Jetzt stehe ich vor dem Mann, der Jalalis Wahlkampagne in der Provinz Badakhshan leitet.
“Bis zu 70 Prozent in den Dörfern und Orten, wo ich bin, sind bereit für Jalali zu wählen“, ist er zuversichtlich. Jalali habe gute Aussichten, denn er sei in den USA Dozent von Obama gewesen. Zugleich schwingt eine Grundskepsis mit. „Ich fahre die Kampagne für Jalali, weil er sich gegen die Korruption einsetzt und für einen effektiveren Staatsapparat. Sollte es aber so sein, dass er sein Wort selbst nicht halten kann, dann werden wir wieder Abstand von ihm nehmen.“

Donnerstag, 16. April 2009

Woman power? Ein Ehegesetz






Die Demonstration zum umstrittenen Ehegesetz ist auch heute das Tagesthema in Kabul. Frauen, die für und gegen das Gesetz ihre Fäuste in die Luft strecken und lautstark Slogans skandieren, hier für Frauenrechte, dort für Allah, hier in Jeans, dort mit weiten Roben, die die Körperkonturen verschwinden lassen. Frauen gegen Frauen auf der Strasse, getrennt durch ein cordon an Sicherheitsbeamten. Das Bild in den Abendnachrichten. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahren eine derartige Protestveranstaltung in Kabul gegeben hat. Ein kleines positives Zeichen für ein aufkeimende Zivilgesellschaft. Mag sein, dass die Bilder im Fernsehen einige Frauen ermutigen.
Sicher, es sind auch Männer da. Bestellte Demonstranten, die später gewalttätig sind und nach der Festnahme durch die Polizei aussagen werden, sie seien von Ayatollah Mosheni, einem der Anstifter des umstrittenen Ehegesetzes, dazu veranlasst worden.
Noch immer ist nicht eindeutig klar, ob es bei den Schiessereien gestern auch ein Opfer gab.

Aufgerufen zur Demonstration hatte unter anderem die afghanische Menschenrechtskommission. An der Spitze des kleinen Protestzugs auch einige ausländische Frauen. (Bilder Zainab Mohaqeq) Ein wichtiges Zeichen der Solidarität, einerseits. Ein leicht gefundenes Fressen für die Befürworter des Gesetzes, andererseits. Ayatollah Mosheni und seine Anhänger verstehen es, den Einfluss internationaler Akteure als Keule des Anti-Islam zu instrumentalisieren.
Der schiitische Geistliche, der lange in Mashhad im Iran im Exil gelebt hat, hat mit seinen und Geldern aus dem Iran das riesige Khatam Al Nabi’in-Seminar im Zentrum von Kabul erbauen lassen, eine Lehranstalt für islamisches Recht. Hier entstand auch das umstrittene Werk, das über 125 Seiten haben soll.

Ayatollah Mosheni leitet die Ulama der Schiiten, den Rat der konservativen Geistlichen. Und hier fangen auch schon die Missverständnisse an. Die Debatte, wie sich sich in deutschen Medien spiegelt, kommt selbstgerecht daher, wenig informiert.
Vergangene Woche hat Mosheni das Gesetz nochmal verteidigt, erklärt es werde kein Zurück geben. In Berichten wird er als ‚Führer der Schiiten’ beschrieben. Sind Aafghanistans Schiiten deshalb bereit ihm zu folgen? „Das Gegenteil ist richtig“, sagt Ali Karimi, ein afghanischer Intellektueller, „viele Schiiten hassen Mosheni. Er ist ein ehemaliger Mujahed-Kämpfer aus der Zeit des Bürgerkriegs. Er kämpft für einen politischen Islam iranischer Prägung und er ist ein Paschtune, keine Hazara, wie die meisten Schiiten. Er kommt aus Kandahar, wie Hamid Karsai, und er ihm werden gute Beziehungen zu konservativ-radikalen sunnitischen wie Sayyaf nachgesagt.“ Die Masse der Hazaras, die in Fragen der Moral eher offen seien, würden ihn ablehnen.
Mosheni ist auch nicht der Führer der einzigen schiitischen Ulama in Afghanistan. Unter den Hazaras gibt es eine Anzahl weiterer, gemäßigter Räte von Geistlichen und Intellektuellen.
Das alles fällt bei der Bewertung in der Auslandspresse unter den Tisch. Sollte es aber nicht.
Der Westen macht es sich leicht: eine kleine Gruppe radikaler Geistlicher wird mit einem Land gleichgesetzt. Wieder sind wir beim Bild des ewig-rückständigen Afghanistan, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Dabei wird auch die Gruppe der Hazara, die rund 12 % der afghanischen Bevölkerung ausmacht und als vergleichsweise offen in gesellschaftlichen Fragen gilt, pauschal mit diffamiert. So kommt man Afghanistan nicht näher. Auch war die Stimmung bei der gestrigen Demo zivilisierter als es einige Artikel in der internationalen Presse vermuten lassen.

Unklar ist, ob und inwiefern die Übersetzungen des Gesetzes, die auf Englisch kursieren, interessengeleitet sind. Die Gefahr liegt angesichts der internationalen Presse-Echos und den Zielen, die internationale Akteure und diplomatische Vertretungen verfolgen, auf der Hand.
‚Zadan’, das persische Wort für schlagen, kann zum Beispiel sowohl einen freundlich gemeinten Klapps bedeuten oder auch die Anwendung grober Gewalt. Die Übersetzungen, die bis gestern auf Englisch kursierten sind zum Teil unverständlich und verwirrend. Selbst unter afghanischen Journalisten herrscht keine Klarheit über manche arabische Begriffe des Gesetzestextes.
Wie und warum Präsident Karsai das Werk unterschreiben konnte, darüber wird in Kabul unter In- und Ausländern noch immer angestrengt gerätselt. Pluspunkte für den beginnenden Wahlkampf verschafft es ihm vermutlich nicht, auch wenn diese Spekulationen in der Presse immer wieder genannt weden.

Zum nuancierten Blick auf das umstrittene Regelwerk gehört auch die Rolle des Iran.
Ayatollah Mosheni wird wie gesagt von dort unterstützt. Nicht auszuschliessen, dass Iran Öl ins Feuer giessen und Afghanistan latent instabil halten will. Es wäre nicht das erste Mal in den vergangenen Monaten.

Ich hatte gestern Gelegenheit Gast bei einem der bekannten und quotenstärksten afghanischen Radio-Sender zu sein, wo das Thema in der Redaktions-Konferenz heiss diskutiert wurde. Auch ein schiitischer Mullah gehört zu den Redakteuren. Er behandle seine Frau so wie man das normalerweise von einem rechtschaffenden Mann erwarte, sagt er angesprochen auf Sex in der Ehe. Vermutlich ist es bei den meisten (schiitischen) Paaren in Afghanistan so. Aber das Extrem veranlasst uns, eine ohnehin komplexe Gesellschaft vom anderen Ende aus zu denken, zu be- und verurteilen.
Eine Frau in der Redaktions-Konferenz weist darauf hin, der Text enthalte eine Stelle in der es heisst, Frauen könnten vor der Eheschliessung Bedingungen an den künftigen Ehemann stellen. Etwa die Bedingung, nicht zum Sex gezwungen zu werden? Damit wäre das Gesetz faktisch ausgehebelt.
Ich mache mir freilich keine Illusionen: dies ist die Stadt, Kabul, und die Demonstration gestern ist Ausdruck urbaner Verhältnisse und findet statt im Licht einer starken internationalen Präsenz, die es so an keinem anderen Fleck in Afghanistan gibt. Auf dem Land, wo Männer, Mullahs und die Tradition das Sagen haben, ist kaum denkbar, dass Frauen von heute auf morgen eine Umkehr der Verhältnisse einklagen, leben können. Auch alle Gender-Programme können daran wenig ändern.

Mittwoch, 15. April 2009

Buchhändler von Kabul, revisited





“Der Buchhändler von Kabul“. Als ich vor 5 Jahren zum ersten Mal nach Afghanistan kam las ich dieses Buch angeregt, wie viele Tausende andere. Und hielt es für die Wahrheit. Längst hat die norwegische Autorin T.Seyerstadt, die sich zur Recherche mehrere Monate bei der Familie des Buchhändlers in Kabul eingenistet hatte, ein schlechtes Gewissen. Seit Jahren läuft in Norwegen ein Prozess. Der Buchhändler und seine Familie bezichtigt die Autorin der Fälschung und der Verletzung der Familienehre, was in Afghanistan schwer wiegt. Gestern sprach ich mit einem der Söhne des Buchhändlers. Drei Jahre hat er selbst in Norwegen gelebt. Und ist desillusioniert wieder zurückgekommen, auch weil er die immer selben Fragen zu dem Buch nicht mehr hören konnte.
Er nennt eine Episode im Buch, in der eine Verwandte geschildert wird, wie sie eine voreheliche Beziehung pflegt, was – wie es im Buch steht – Gefahr für Leib und Leben bedeuten kann. „Seyerstadt hat so das Leben von mir und einiger anderer Leute gefährdet“, sagt er mit unterschwelligem Gram, „und sie hat unsere Familie zerstört“. Seit Erscheinen des Buchs lebe die Mutter im Ausland, sei alles nicht mehr wie vorher.
Die Autorin habe der Familie zur Entschädigung 1 Million Kronen als gütliche Einigung angeboten. Sine Familie könne das nicht akzeptieren, sagt Miraj. Sie kämpfe weiterhin für drei Ziele: den Stopp des Buchdrucks weltweit, eine öffentliche Entschuldigung der Autorin sowie die (rückwirkende) hälftige Beteiligung an allen Einnahmen, die das Buch weltweit erzielt hat.
Das ist hoch gezielt, zu hoch vermutlich. Wo also hin mit dem Schmerz?

Im Laden (Bild), der auch die Wohnung beherbergt und der bis zur Decke mit Büchern gedrängt vollsteht, liegt längst ein anderer kleiner Einband aus, den Mirajs Vater, der Buchändler von Kabul, selbst geschrieben hat. Ohne Wut im Bauch versucht er darin, Fragen an sich und über die Fremde, die in das Leben der Familie eindrang, von der Seele zu schreiben. Auch das Büchlein ist mittleweile in ein paar Sprachen übersetzt.
Ich sitze mit Miraj und trinke Tee. Er regt sich über die Rückständigkeit seiner Landsleute auf. Über die Kontroll- und Zensurbehörde beim Ministerium für Information und Kultur vor allem, die jedes Buch prüfe und viele der wissenschaftlichen Werke in Englisch über Anatomie, Medizin und Biologie, die der Buchhändler von Kabul aus dem Ausland bestellt, beanstandet. Er zückt einen kiloschweren Band, eine Enzyklopädie aus England über Pediatrie und Körperflüssigkeiten. Es dauere oft Monate, bis die Kontrollbehörde das Buch zum Verkauf freigebe. Das mache ihn rasend. „Wir leben im Zeitalter des Internets“, sagt er, „wo jeder in Kabul surfen und einsehen kann, welche pro- und anti-islamischen es gibt.“

Herat, last minute





I.
Seit zwei Wochen viel Regen in Herat, Mazar, Kabul und weiten Teilen Afghanistans. Deutsches Wetter statt der gewohnten Sonne. Ein Segen für die Landwirtschaft, es verspricht eine gute Ernte zu werden. Nachteil: reihenweise kollabieren Lehmbauten. Der Lehm weicht unweigerlich auf.
6 Tote durch ein einstürzendes Lehmdach gestern in einem Vorort von Herat.

II.
Ich bin zu Gast auf einem Workshop junger Afghanen, Männer wie Frauen, im Alter von 20-30. Young Leaders Forum heisst die Gruppe. Ein Debattierzirkel den das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afghanistan seit 2003 initiiert. Wir reden über kulturelle Missverständnisse, die auch nach sieben Jahren nicht weniger werden. “Unser Hauptproblem im Umgang mit Ausländern“, sagt einer von ihnen, „ist, dass alle von Draussen unsere Kultur nicht anerkennen und meinen, sie wären bessere Menschen.“ Zaki wird in Kürze zum ersten Mal zu einer Fortbildung nach Deutschland reisen: „Ich werde an der Uni und in Bibliotheken ein paar Monate recherchieren. Aber vorher will ich recherchieren, wie die Menschen in Deutschland sind, wie man dort geht und arbeitet („how they walk and how they work“). Mein Rat an die jungen Afghanen im Gespräch: selbstbewusster auftreten gegenüber den Geberländern und ihren Organisationen. Nicht Angst haben vor konstruktiver Kritik. Tatsächlich ist die Unterwürfigkeit der meisten afghanischen Angestellten in Büros internationaler Hilfsorganisationen erschreckend. Verständlich. Der weitaus kleinere Teil der täglichen Arbeitsbeziehungen ist gekennzeichnet von einem ausgewogenen Verhältnis, das nicht von ‚wir-da-oben-und-ihr-da-unten“ bestimmt ist.

III.
Petrus begegnete mir zum ersten Mal vor zwei Monaten. Was für ein Name in diesen Breitengraden. Er sagte er suche Arbeit bei einer Hilfsorganisation, sei relativ neu vor Ort.
Woche um Woche wurde das Bild über ihn klarer. Neu ist er nicht wirklich und Arbeit hatte er bereits in Herat. Auch in der einheimischen Sprache kennt er sich relativ gut aus. Man erstes Gefühl bestätigt sich: er ist hier, um zu missionieren. Ein absolutes Tabu-Thema der internationalen Medien mit Blick auf Afghanistan. (Zeit auch hierüber einmal zu berichten)
Hilfsorganisationen ist Missionieren offiziell untersagt, aber in Herat wie in Kabul passiert es am laufenden Band. Das Führungspersonal ganzer internationaler Einrichtungen ist darauf eingestellt. Zum Beispiel an der amerikanischen Schule von Kabul.
Petrus gibt Management-Kurse über persönliche Integrität und Aufrichtigkeit. Unter Ausländern aber traut er sich nicht, die Wahrheit zu sagen. Er lädt Afghanen zu sich nach Hause ein. Zeigt ihnen Filme in denen Jesus Christus und Gott gepriesen werden. Er fährt nach Dubai und schickt von dort Internet-Links über die Bibel und ihre Botschaft. Er kommt zurück aus Dubai mit der Bibel im Gepäck und will sie afghanischen Bekannten vermachen. Einige lehnen ab, andere zögern, wieder andere lassen sich ‚überzeugen’.

IV.
Kahlschlag: eines der zwei grossen US-Programme für urbane und ländliche Entwicklung schliesst seine Büros im gesamten Norden und Westen Afghanistans. Vorankündigung: 4 Wochen. Hunderte von Angestellten stehen auf der Strasse, die meisten haben eine 8-12-köpfige Familie ernähren.
Ähnlich wie bei der deutschen Entwicklungshilfe scheinen die USA ihre Hilfe jetzt vor allem auf jene Regionen zu konzentrieren, in denen sie am Stärksten engagiert sind bzw. die umkämpft sind. Bei den Amerikanern sind das der Süden und Südosten.
Shoanne ist frustriert über ihre eigene Regierung. „Die Mitarbeiter, die in Kabul die Dinge planen, sitzen hinter dicken Schreibtischen. Ich muss vier Abwehrringe aus Betonmauern und Stacheldraht überwinden, um zu ihnen vorzudringen. Wie kann ich erwarten, dass sie einen realistischen Eindruck der afghanischen Verhältnisse haben.“
Sie spricht von gekauften Schafen und geschorener Wolle, die jetzt ohne Webstühle bleiben. Von eingerichteten Büros, deren Ausrüstung jetzt verscherbelt wird. Von Strategien, die ohne Hand und Fuss.

V.
Viele loben die neue US-Strategie für Afghanistan. Sie enthält mehr militärische Anstregungen, Programme zur Demokratisierung des Landes werden zurückgefahren, hatten die neue Obama-Administration schon vor monatsfrist angeküdigt. Verleugnet der Westen damit die Ziele, die er sich sechs Jahre lang selbst gesetzt hat? Oder ist es Einsicht in die begrenzten Möglichkeiten, ein Land jenseits unseres Horizontes zu demokratisieren? Die Inkonsequenz und der falsche Ansatz der vergangenen Jahre sind unübersehbar.
“Ich möchte, dass Demokratie und Zivilgesellschaft hier eine Chance bekommen“, sagt Yama, 26, der aussieht wie 36, ernst, gebildet, und der gerade eine neue Organisation gegründet hat. „Wir vertreten säkulare Werte. Wir erwarten auch, dass der Westen junge Leute wie uns unterstützt und nicht fundamentalistische Gruppen und Interessenvertreter. Schauen sie z.B. General Jurat, ein ehemaliger warlord in Diensten der Nordallianz. Es heisst er habe 5.000 Milizionäre, die als Sicherheitskräfte in Herat hier und in Kabul für ausländische Organisationen arbeiten stellen die Sicherheit für Teile der afghanischen Behörden, der ISAF sowie für Hilfsorganisationen. Derselbe General Jurat tritt Recht und Gesetz mit Füssen. Unlängst hat er den Generalstaatsanwalt auf offener Strasse geschlagen und bedroht. Zu diesen Leuten geht das Geld der internationalen Gemeinschaft! Das muss geändert werden.“

VI.
Im Flugzeug nach Kabul. Mumtaza stammt aus Usbekistan. Sie fällt äußerlich von Teint und Kleidung nicht auf unter den Afghanen. Ihre Stimme aber verändert die Situation gewaltig. Frauen die laut und bestimmt sind ziehen mächtig Aufmerksamkeit auf sich, interessierte wie mißtrauische Blicke, nicht wirklich geneigte, anfangs. Mumtaza leitet ein Programm der Asia-Foudation für Frauenrechte.
Zuhause in Uzbekistan hat sie sich ebenfalls für die Bildung zivil-gesellschaftlicher Strukturen eingesetzt. Seit wenigen Monaten sei sie jetzt in Afghanistan. „Ich fühle mich so viel besser hier“, sagt sie, „das Land ist so frei in vieler Hinsicht im Vergleich zu meiner Heimat.“
Im selben Flugzeug sitzt Deeva, eine junge Iranerin. Sie arbeitet für eine internationale Hilfsorganisation in Herat. Trägt Jeans, ein modernes Top. „Tehran hat viele Möglichkeiten, aber nicht wirklich gewisse Möglichkeiten, die es hier gibt“.

Donnerstag, 9. April 2009

Obama, Den Haag, Nato-Gipfel: welche Strategie ?




Obamas Afghanistan-Pläne, die Haager Afghanistan-Konferenz, Afghanistan auf dem NATO-Gipfel: Die Berichterstattung darüber in den deutschen Medien bestärkt mich in der Ansicht, dass man Journalisten in Sachen Afghanistan immer noch ein A für ein O vormachen kann.

Ein Beispiel (Zitat): “Die NATO soll auf allen Ebenen aufrüsten. Mehr Kampf, mehr Wiederaufbau, mehr Diplomatie. Die Alliierten stimmten ihm zu. Sie vereinbarten in Straßburg auch eine neue Afghanistan-Strategie mit mehr ziviler Hilfe, einigen Millionen hundert Euro und ein paar tausend zusätzlichen Kräften. Für die zivile Hilfe will die NATO 370 Millionen Euro mehr ausgeben“.
Ob hier der Wortlaut einer NATO-Pressemeldung übernommen worden ist oder der Autor selbst die Dinge vermischt bleibt unklar. Inwiefern, die Frage drängt sich auf, kann ein militärisches Bündnis zivile Hilfe leisten? Generell und bezogen auf Afghanistan insbesondere? Eine kontroverse Debatte hierüber wäre umso dringlicher, da Hilfsgelder und Mittel, die zivilen Ursprungs sind - u.a. EU-Gelder - zunehmend durch NATO-Militär in Afghanistan verplant und ausgegeben werden. Sogar betont christlich-geprägte Organisationen scheuen vor diesem Hintergrund nicht mehr davor zurück, Gelder des Militärs anzunehmen, um Aufbau in Afghanistan zu betreiben.
Viele Hilfsorganisationen stehen mehr denn je vor einer Grundsatzfrage: wie halten wir es mit dem Militär?
Den zunehmenden Druck auf die humanitären Akteure veranschaulicht ein aktueller Bericht, der von einem Dutzend international angesehener Hilfsorganisationen formuliert ist (und jene Kritikpunkte erhärtet, die der Zusammenschluss deutscher Hilfsorganisationen Venro unlängst formuliert hat). Deutlicher denn je werden darin Fehler angesprochen, die das Militär irrigerweise zum Anwalt westlicher Aufbau-Prioritäten in Afghanistan machen. Wenn ein Strategie-Wechsel ernst gemeint ist, dann muss die Zukunft der zivil-militärischen Aufbau-Teams, von denen es rund 40 landesweit gibt, rasch überarbeitet werden. In der derzeitigen Form haben scheinen sie keine Existenzberechtigung mehr zu haben.
(Zitat) ”PRT engagement in development activities is neither effective nor sustainable for the following reasons: (1) Being military-led, PRTs are an inherently unsuitable means to promote development. (2) Given the particular cultural and social mores of Afghanistan, and mistrust of foreign forces, Western military-led institutions are unable to achieve a sufficient level of local engagement and ownership necessary for effective long-term development. (3) PRTs divert funds away from Afghan civilian development processes and institutions, whose weaknesses ultimately prolong the military presence: annual funding available to US PRT commanders exceeds the Afghan national budget for health and education. (4) As highly variable and intrinsically unsustainable institutions, PRTs are an impediment to the establishment of a coherent and consistent national development framework, and have resulted in major geographical disparities in the distribution of aid. (5) The PRTs’ hearts and minds approach to assistance, drawn from counter-insurgency doctrine, is not only at odds with accepted principles of development, but, given that it is
(...) Civil-military distinction, which is essential for the security of humanitarian actors and their ability to deliver assistance to people in need. Yet there has been an increasing blurring of this distinction, which is at least partly attributable to the conduct of IMF. In contravention of the Guidelines, some military actors engage in relief activities for the purposes of force protection; and certain ISAF contingents, such as the US and France, are failing to identify themselves as combatants by the continued use of unmarked, white vehicles, which are conventionally used by the UN and aid agencies. The expansion of PRT activities and the use of heavily protected contractors to implement reconstruction projects have also contributed to a blurring of the civil-military distinction. Ultimately, these practices have contributed to a diminution in the perceived independence of NGOs, increased the risk for aid workers, and reduced the areas in which NGOs can safely operate. Currently, humanitarian agencies are unable to access over a third of the country, depriving substantial parts of the population of assistance, and underscoring the urgency of greater efforts to preserve the civil-military distinction. The ‘integrated approach’ to development and stabilisation, as promoted by UNAMA and ISAF, could pose additional risks to NGO independence and security. Further, it is regrettable that the UN has still not fulfilled its important responsibility to carry out trainings on the Afghanistan Civil-Military Guidelines."

Mögliche Lösungsansätze überzeugen auch in diesem Papier nicht wirklich.
Ein ernst gemeinter Strategie-Wechsel hätte z.B. beim NATO-Gipfel auch einen Teil der Hilfsorganisationen mit an den Tisch geholt.
Dies betrifft wohlgemerkt die PRTs. Das NATO-Militär, das nicht im ‚zivilen Auftrag’ unterwegs ist provoziert die eigentlichen Querschläger und zivilen Opfer, wobei nach meiner Beobachtung unklar ist, ob die NATO oder die Taliban für mehr Tote verantwortlich sind.

US-Regierung wie Europäer haben ausserdem Ziele über die bewaffneten Kräfte für afghansiche Polizei und Armee in die Welt gesetzt, die ebenso ambitioniert wie leichtfertig erscheinen. Damit setzt man sich selbst und die afghanische Regierung unnötig unter Druck. Bis 2011 sind über 240-Tausend Armee- und Polizeiangehörige nach bisherigem Ausbildungstempo nicht zu schaffen.
Die Zahl der Deserteure ist nach wie vor hoch, weil die Gehälter für so eine riskante Arbeit viel zu niedrig sind. Viele Einheiten werden mit Waffen ausgestattet, die weniger modern sind als jene, mit denen Taliban und andere Aufständische kämpfen. In einem jüngsten Dokumentarfilm über die Ausbildung von Soldaten der afghanischen Armee (Standing up) trainieren diese noch mit Gewehren die eine halbes Jahrhundert alt sind und bei denen ein manueller Rückzugs-Kolben bedient wird zum Nachladen. Die afghanischen Rekruten und Offiziere bekommen in mehr als einem Fall veraltetet Waffengenerationen in die Hand.
P.S.: “Wir dürfen nichts unter den Teppich kehren“ (Angela Merkel am Rand des NATO-Gipfels), „…solange bis die Afghanen sich selber schützen können.“ (Ruprecht Polenz, CDU, Experte für Aussenpolitik, aus gleichem Anlass)

Redaktionelle Eingriffe





In meinem jüngsten Artikel für den 'Freitag' ist im Vorspann von einer neuen
Afghanistan-Politik des Westens die Rede, wie sie Barack Obama kurz vor dem NATO-Jubiläums-Gipfel fordert, und dass diese unumgänglich sei.
Dieser Vorspann stammt wohlgemerkt von der Berliner Redaktion der Zeitung. Eine andere Strategie ist notwendig, das meine ich tatsächlich. Der Zustimmung zur Obama-Strategie, wie sie hier insinuiert wird, rede ich in meinem ursprünglichen Text nicht das Wort. Solche redaktionellen Eingriffe gehören zum Geschäft. Über die Jahre und aus Afghanistan gesehen muss ich allerdings feststellen, dass sie die Wirklichkeit - beabsichtigt oder nicht - in einer Weise zurechtrücken, die verhindert, dass wir die afghanischen Wirklichkeiten noch besser wahrnehmen.

Mittwoch, 8. April 2009

Nachrichten aus Absurdistan





Cathlyn, 35, arbeitet als zivile Helferin im amerikanischen Wiederaufbau-Team in der Provinz Farah im Westen, einer Grenzregion zum Iran. Jedes Mal wenn sie zur Arbeit geht wird sie von
15 (!) schwer bewaffneten Body Guards begleitet, 13 afghanischen und zwei internationalen Sicherheitskräften, die vor ihr hergehen bzw. herfahren. Sie selbst trägt eine gepanzerte Schutzweste dabei, die sie am Liebsten gar nicht anlegen würde. Dies sind die Vorschriften ihres Arbeitgebers, der staatlichen Entwicklungshilfe USAid, für den sich Cathlyn entschlossen hat einen 72-Tage-Vertrag zu unterzeichnen. In dieser Zeit soll sie als „Gender-Expertin“ Projekte auf den Weg bringen, die die Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft stärken. Eine nahezu unmögliche Mission. Es geht darum Textilien, die 50 Frauen einer Kooperative in Farah herstellen, an den Mann zu bringen. Cathlyn reist, offenbar ohne ausreichende vorherige Marktanalyse, im Land herum um Herat und anderswo einen Absatzmarkt für die Textilien zu finden. Je länger ich mich mit ihr unterhalte, desto offensichtlicher wird der Widerspruch zwischen den Massen an Geldern, über die sie für ihren Auftrag verfügt und der Not, dieses Budget in der extrem kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung steht, sinnvoll zu verplanen. Ähnlich geht es Hunderten von gutklingenden Hilfsprojekten, die an Schreibtischen von Ministerien fern von Afghanistan entworfen worden sind.
„I am here to make a difference“ – den Satz trägt sie wie viele Helfer wie eine Monstranz vor sich her. Worin der „Unterschied“ bestehen könnte ist unklarer denn je.
Farhad, der mehrere Jahre für eine deutsche Hilfsorganisation in Farah gearbeitet hat und behauptete die Region wie kein anderer zu kennen, meint einen Ausweg zu wissen. „Für 4.000 oder 6.000 Dollar kann ich hier erfolgreiche Projekte starten, die den Menschen helfen und ihre Eigeninitiative fördern.“ Das NATO-Militär sei dafür zu aufgerüstet, auch zu fern von ihren eigentlichen Beweggründen, um Vertrauen zu schaffen; die afghanische Regierung zu ineffizient.

Wenn 15 Bewaffnete allein zum Schutz von Cathlyn da sind, welcher Aufwand musss dann betrieben werden um die 300 und mehr Zivilisten zu schützen, die die neue US-Regierung aber auch Deutschland und andere Staaten nach Kabul und in die Provinzen schicken wollen? Der Verantwortliche der Cooperazione Italiana, des italienischen PRTs in Herat, bewegt sich mit einem halben Dutzend Sicherheitsbeamten zu privaten Treffen. Das Auftreten derselben verändert den Charakter solcher Begegnung unmittelbar.
Ausser ihr und einem Dutzend Ausländer im PRT-Militärcamp gebe es keine Ausländer in der ganzen Provinz Farah, meint Cathlyn. Farhad pflichtet dem bei. Die Ausdünnung von internationalem Personal in den Provinzen ist der Sicherheit geschuldet. Natürlich ist es besser, dass afghanische Helfer (statt ausländischer) die Projekte vorantreiben. Andererseits ist ein Zeichen dafür, wie behutsam Hilfsorganisationen zunehmend vorgehen müssen. Kampfzonen sind faktisch auch nach Abzug des Militärs erst einmal no-go-areas.

Helfer wie Einheimische in Farah gehen davon aus, dass mittlerweile die Mehrheit der Distrikte der Provinz Farah „in Händen von Taliban“ seien, wie ihr Übersetzer sagt. Wer aber ist ein Talib?, frage ich Faramarz. Der Begriff wird inflationär benutzt, ohne dass es eine klare Definition gibt. „Erstens jene, die das Entführungsgeschäft betreiben“, zählt er auf, „sie machen keinen Unterschied zwischen Ausländern und Einheimischen. Zweitens Diebe und Räuberbanden, die Strassensperren errichten und Passanten ausrauben. Drittens Gruppen, die gegen die Regierung und die Präsenz von Ausländern in Afghanistan sind, auch gegen mich als Übersetzer.“ Die grassierende Arbeitslosigkeit verschaffe den Taliban allenthalben Zulauf. Für kleines Geld seien junge Menschen zu weitreichenden Gewalttaten bereit.

Ich sitze mit Cathlyn in Herat, im Haus afghanischer Mitarbeiter, beim Abendessen (Bild). Die Lage hier ist vergleichbar entspannt. Was den Abend interessant macht ist ein offenes Gespräch darüber wie Ausländer und Afghanen miteinander oder besser gesagt aneinander vorbeileben. Zwischendurch wird immer wieder gelacht. Das ist nicht unbedingt immer so. Afghanen erleben die Ausländer in ihrem Land überwiegend als ernst, was eine Art sein kann, Angst und Angespanntsein zu überspielen.
Es wird Pilaw serviert, Reis mit Rosinen, dazu Huhn, Rind und Hammelfleisch. Faramarz, Cathlyns Übersetzer, erzählt wie im PRT-Stützpunkt in Farah in regelmäßigem Abstand Schweinefleisch auf dem Speiseplan stehe. Cathlyn ist schuldbewusst. Sie fängt von vorne an: Afghanistan gehe es u.a. so schlecht, weil ab 2003 viele Kräfte – zivile wie militärische – in den Irak abgezogen worden seien. Sie habe damals für die Vereinten Nationen gearbeitet, „3 Monatsverträge, es war unmöglich eine Langzeitplanung zu machen, geschweige denn eine Strategie. Je länger mein 1-Jahres-Aufenthalt dauerte, desto weniger qualifiziert waren die Mitarbeiter, die eingeflogen wurden, denn für einen Kurzaufenthalt waren die besten Kräfte nicht zu gewinnen. Ich hatte drei Chefs innerhalb von drei Monaten“. Grundsätzlich hat sich daran nur bedingt etwas verändert. Die Vereinten Nationen sind immer wieder durch ihre choaotische Personalpolitik aufgefallen, in Kabul werden viele Verträge, auch bei den diplomatischen Missionen, für ein Jahr vergeben, ohne Verlängerung. So lassen sich nur wenig Netzwerke und Projekte konsequent aufbauen. Jeder zweite Neue der kommt, stösst die Pläne seines Vorgängers wieder um oder braucht das eine Jahr, um sich überhaupt einzufinden. Dann geht er wieder.

Das Gespräch mit Cathlyn und ihren afghanischen Begleitern wird privater. Es geht um das jüngste Gesetz, das Präsident Karsai unterschrieben hat und in dem Frauen schiitischen Glaubens vorgeschrieben wird, unter welchen Umständen sie auf die Strasse gehen dürfen und in dem Vergewaltigung in der Ehe faktisch sanktioniert wird.
Ein Rückschritt für Afghanistan, stimmen die Anwesenden in den Tenor der ausländischen Kritiker ein. Die afghanischen Medien fassen das Thema mit Samthandschuhen an. Im Fernsehen gibt es keine Bilder zu entsprechenden Meldungen. Die fragwürdigen Passagen werden nicht annährend wörtlich genannt, die Zuschauer können sich also nicht annährend ausreichen informieren.
Warum das Fernsehen keine Bilder, keinen Wortlaut bringt ? Aus Scham würden wir vermutlich sagen. Aus der Verantwortung privaten Dingen ihre Privatheit zu lassen, würden afghanische Behörden und Medienverantworltiche vermutlich sagen. Die afghanischen Medien, zumal unter dem augenblicklichen Druck der auf Journalisten lastet, machen das Spiel notgedrungen mit.
Unsere afghanischen Gastgeber versuchen sich mit Humor aus einer Diskussion zu winden, die immer schwerer und anklagender für sie zu werden droht. Sie nehmen Cathlyn aufs Korn, in dem sie die Rolle zurückgebliebener Patriarchen miemen und sie mit ein paar Witzen freundlich necken. Sie ist klug genug, darauf einzugehen.

Freitag, 3. April 2009

Hearts and Minds: Kino und Politik





Heute wurde mein Kurzfilm ‚Hearts and Minds’ im Kino von Herat gezeigt. Das Wort Kino müsste eigentlich in Anführungszeichen stehen. Es handelt sich um eine ehemalige Sporthalle, die vergangenes Jahr bestuhlt und als Ort für Filmvorführungen wiedereröffnet wurde. Die Freude war von kurzer Dauer. Nicht einmal 24 Stunden nachdem ein älterer Hollywood-Film und ein Dutzend Kurzfilme einheimischer Regisseure liefen, meldete sich die ‚Ulama’, der Herater Rat der sogenannten Geistlichen zu Wort (dahinter verbergen sich in Wirklichkeit viele ehemalige Mujahedin, längjährige Anführer im Befreiungskrieg gegen die Sowjetunion sowie aus der Zeit des Bürgerkriegs) und erklärte die Nutzung der Halle als Kino für unerwünscht. Eine kleine Schar unabhängiger Filmemacher blieb immerhin hartnäckig und kann auf Unterstützung durch Uni-Dozenten und diverse Honoratioren in der Stadt rechnen. Seit einigen Monaten, erzählt mir einer der ‚Kino’-Initiatoren, laufe der Betrieb wieder, mehr oder weniger im Wochentakt. Prime time ist um 14 Uhr an jedem Freitag, dem hiesigen Wochenende. Gezeigt werden meist ältere iranische Filme (kein Bollywood-Kino, anders als in Kabul). Von Filmplakaten oder einem Ambiente, das wir mit Lichtspielen assoziieren allerdings keine Spur.
„Hearts and Minds“, meine Collage über Krieg und Alltag in Afghanistan, hatte hier eine unerwartete Premiere im kleinen Kreis. Das Ganze war kurzfristig angesetzt für eine Spätvorstellung um 18 h. Fünfzehn Herater Filmemacher und zwei Polizisten verloren sich im Auditorium. Die Ungewissheit über mögliche negative Reaktionen schwang möglicherweise mit. Dabei nimmt mein Film eher die afghanische Kritik an der fehlenden Afghanistan-Strategie des Auslands auf. „Ein eher europäischer Blick“ findet einer der Zuschauer gleichwohl. Wir diskutieren eine zeitlang in der dunkeln Halle bevor wir das Gespräch nach Draussen verlagern.
Es laufen noch zwei afghanische Kurzfilme. Einer davon über Zwangsheirat. Darin kommt ein älterer Mann vor, neben dem ein Mädchen sitzt, noch Kind, bedeckt mit einem bunten Kopftuch, das nicht wagt aufzuschauen. In der nächsten Sequenz sieht man, wie das Mädchen einen Kanister Benzin auftut und sich damit begiesst, dann anzündet. Der zweite Film handelt von häuslicher Gewalt. Am Ende ertönt eine Stimme aus dem ‚Off’, die das Schicksal afghanischer Frauen demonstrativ hervorhebt. Auftraggeber dieser Produktionen sind die afghanische Menschenrechtskommission sowie in Herat tätige Hilfsorganisationen. Diese Art von Filmen sind widersprüchlich und kompliziert. Den afghanischen Regisseuren werden Vorgaben inhaltliche Vorgaben gemacht nach Maßgabe der Prioritäten, die die internationalen Akteure glauen ausgemacht zu haben. Dramaturgie, Skript und Text sind teilweise vorgegeben und kommen nicht von den Regisseuren. So sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Aufklärungsfilmen und Kurzfilmen zur politischen Bildung entstanden, die derart politically correct sind, dass einige der Hilfsorganisationen den Fehler selbst erkannt haben und nach Auswegen suchen.
Die Anzahl der der Autoren, die nach westlichen Standards einen Film entwickeln ist allerdings sehr begrenzt. Die Sadat-Schwestern aus Herat sind eine Ausnahme. Beide sind Autodidaktinnen, deren Filme mittlerweile auch auf internationalen Festivals laufen. Für afghanische Regisseure zählt in erster Linie, dass es überhaupt Arbeit gibt, Kamera und Schauspieler zum Zuge kommen und es etwas Geld gibt.
Es mischen sich Fragen und Zuversicht während ich im Dunkeln vor der Leinwand sitze, einem grossen weissen Stofftuch. Ist ‚Kino’ in Herat ein Alibi für die Konservativen, oder steht das halbe Dutzend weiblicher Filmemacher, mit denen ich mich in den letzten Tagen getroffen habe für einen Aufbruch zu unbekannten Ufern?
“Die Zahl der Filmproduktionen zeigt nach unten. Statt 25 Büros vor ein paar Jahren gibt es jetzt nicht mehr als ein Dutzend. Viele haben die Hoffnung verloren“, meint Wahid Qatali über seine Kollegen. Er war eine treibende Kraft letztes Jahr bei der Wiedereröffnung des ‚Kinos’, studiert Kunst an der Universität von Herat, wo es immer noch keinen Dozenten für Film gibt, wie er beklagt.
Wahid Qatali verkörpert das ambivalente Verhältnis zwischen Kino und Politik in Herat. Sein Vater ist ein ehemaliger Mujahed, der an der Seite Ismael Khans gegen die Russen gekämpft und sich seine Pfründe als Folge des ‚gottgegebenen Sieges’ danach für Lebzeiten gesichert hat. Wahid, jetzt 25, hat lange gezögert, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, eines unscheinbaren Geschäftsmanns, der mittlerweile Verträge in Millionenhöhe mit US-amerikanischen Bau- und Beraterfirmen abschliesst. Die Einnahmen daraus sichern der Familie eine gehörige Gefolgschaft inklusive einer Sicherheitsfirma mit bodyguards, deren Vertreter ständig mit im Wagen sitzen oder einem die Türen öffnen.
Es sind offenbar Wahids vorerst letzten Tage als Filmemacher. „Ich werde in die Politik gehen, mich um den Vorsitz des hiesigen Landrats bewerben“, meint der 25-jährige und fragt mich gleich, ob ich das für eine gute Idee halte.
Wahid und seine Familie haben gute Beziehungen zu Ismael Khan, betont er. Isamael Khan, ehemaliger Gouverneur von Herat und viele Jahre unumschränkter Herrscher im Westen Afghanistans weit über die Grenzen der Provinz Herat hinaus, sitzt als Minister für Energie im Karsai-Kabinett in Kabul und hält immer noch viele Fäden in Herat in der Hand. Jüngst hat er seine Tochter, 25, eine Novizin in der Politik, zur Leiterin des Frauenministeriums bestellt, als mögliches Sprungbrett für einen Sitz im Parlament.
Ismael Khan selbst, so Wahid, überlege, ob er auf dem Ticket von Karsai als Vize-Präsident bei den Wahlen im August kandidieren solle. Ich bin überrascht. Es ist bekannt, dass Khan nicht viel von den Leuten hält, mit denen er in Kabul am Kabinettstisch sitzt. Es heisst er sei einer der wenigen, der nicht in Anzug und Krawatte in der Runde der Minister tage. Noch hält sich die weißbärtige Eminenz zurück. Erst wenn die US-Regierung sich entscheidet, wer ihr Favorit für die Präsidentschaftswahl im August ist, werden Khan und all die anderen afghanischen Politiker aus ihrer Deckung kommen.
Dieser Tage war Ismael Khan zu einem spontanen Besuch in Herat. Rund 4.000 Anhänger fanden sich ein in seiner Privatresidenz, darunter ehemalige Kampfgefährten. Alle wurden kostenlos bewirtet, die Pflicht eines Khan nach afghanischer Sitte.
Wenn es stimmt, was Wahid über Ismael Khan sagt, dann ist jede Allianzen für ihn opportun, die sich rechnet. Auch für die Qatalis. Ganz gegen den Trend haben Wahid und sein Vater vor fünf Jahren gegen Karsai für einen anderen Kandidaten Wahlkampf-Kampagne gemacht. Jetzt erwägen sie Partei für ihn zu ergreifen – wiederum gegen den Trend, wie es im Moment aussieht. Was Ismael Khan entscheidet ist den Qatalis Befehl, von seinem politischen Überleben hängt auch das ihre ab.
Dem mag etwas Feudales anhaften. Zugleich sind die Qatalis konsequente Geschäftsleute, die ihre tribale Macht längst in politische und wirtschaftliche umgemünzt haben. Wirkliches Vertrauen in der Bevölkerung, so mein Eindruck, geniessen sie nicht. Trotzdem werden die meisten ihre Anhänger im August wählen, wozu Ismael Khan und Wahid ihnen raten. Khan hat übrigens zu der grossen Versammlung in seiner Privat-Residenz die öffentlichen und privaten Fernseh-Sender eingeladen, ausser Tolo TV. Der populärste uner den afghanische Sendern liegt nach wie vor im Clinch mit den meisten afghanischen Konservativen weil er ungezügelt indische Soaps ausstrahlt und auch „Afghan Star“, eine Kope von ‚Deutschland-sucht-den-Superstar“.

Mehr als ein Hoffnungsschimmer: in Herat gibt es eine kleine Anzahl von Film-Autorinnen, daruntre die Schwestern Sadat. Die eine, Roya, hat gerade ihren neuesten Film fertiggestellt, von dem wir, mit ein wenig Glück in Kürze auch auf internationalen Festivals hören werden. Ihre Schwester Alka betätigt sich ausschliesslich als Dokumentarfilmerin. Sie ist heute abgeflogen zu einem einjährigen Stipendium nach Italien. Meines Wissens die erste Frau seit dem Sturz der Taliban, die Film im Ausland studiert. Ich hatte sie letztes Jahr eingeladen zum Afghanistan-Sonderprogramm auf der Dok-Leipzig, Deutschlands grösstem Doku-Filmfest. Ihr Film lief dort im Wettbewerb der jungen Talente. Was in Italien klappt sollte auch in Deutschland möglich sein. Gerade habe ich ein Schreiben an die Kabuler Büros von Goethe-Institut und DAAD geschickt. Mein Ziel ist, dass wir auch für afghanische Filmtalente Stipendien ausschreiben in Deutschland.
Es werden Filme daraus entstehen, die uns Afghanistan mit anderen Augen zeigen, wahrhaftiger als vieles was westliche Kameraleute je mit der Kamera einfangen können. Alka Sadats Half Value Life, die Geschichte einer afghanischen Staatsanwältin, ist dafür der beste Beweis.

Wandel im Afghanistan-Bild ?




Zu meinem Artikel in der Taz ist die Wahl des Fotos bemerkenswert.
Hier mein Bildangebot an die Berliner Kollegen. Im Link die Auswahl der Redaktion.