Dienstag, 10. März 2009

Nabelschnur zur ländlichen Welt



Shotor Daran – zu deutsch 'Der Besitzer des Kamels' – ist ein Dorf 20 Kilometer nördlich von Herat. Hier leben 150 Menschen. Es gibt keine Taliban, aber auch die Entwicklungshilfe kommt hier nur mit einem kleinen ‚e’ an. Von einem der grössten staatlich-internationalen Hilfsprogramme, NSP (National Solidarity Programme), das seit 2002 bis zu 20.000 Dörfer in ganz Afghanistan erreichen soll, haben die Menschen hier noch nichts gespürt.
Im Dorf mischen sich sesshafte Bevölkerung mit Nomaden und Halbnomaden. Zwischen den Lehmbauten sind grob geflochtene Zelte gespannt. Einige der Nomaden machen nur wenige Tage Station und ziehen dann weiter, dem Grün der Hügel für ihre Ziegen- und Schafsherden folgend.
„Für die Regierung existieren die Nomaden nicht“, meint eine Helferin, die
hier draussen mit ihrer Organisation Latrinen für das Dorf gebaut hat. Eine halbe Million Kuchis, wie die Nomaden genannt werden, tauche so in den Statistiken der staatlichen Behörden oft gar nicht auf. Entsprechend fehlten Bildungs- und Gesundheitsprogramme. Die Kuchis wünschten sich Hilfe in Form von Unterricht und Ausbildung die dem Weg ihrer Migration folgen. Die Hilfsorganisationen stiessen hier an ihre Grenzen, einwöchige Kursangebote seien deshalb oft nur leistbar. Bei den vielen Hilfsorganisationen und Behörden im Land wäre ein besserer Netzwerk-Effekt unbedingt zu prüfen.
In Shotor Daran gibt es keinen Fernseher und keinen Arzt, keine ausgebildete Hebamme und keine Klinik im Umkreis von 15 Kilomentern. Die kleine Fatima, die den Tee einschenkt, ist noch nicht sieben Jahre alt und bereits dem Mann einer befreundeten Familie versprochen. All das klingt düster, archaisch. Die Stadt ist nah und doch so weit. Die Verkehrsader, die das Dorf mit der asphaltierten Strasse verbindet, ist ein kleines Wadi. Jeder Regen spült die Fahrbahn weg. Die Reifenspur im Lehn ist wie eine dünne Nabelschnur zwischen urbaner und ländlicher Welt.
Manchmal ist es eine einzige Person, die die beiden Welten verbindet. In Shotor Daran ist es Abdallah. Der junge Mann ist Anfang 30, besitzt ein Motorrad und ist der einzige Lehrer im Dorf. „Hier gibt es zum ersten Mal überhaupt seit kurzem eine Schule“, sagt er. Der Bau hat 4.500 Dollar gekostet, ein Flachbau zu dem die rund 100 Schüler aus den anliegenden Dörfern aus mehreren Himmelsrichtungen über die Hügel kommen. „Die Jungen und Mädchen können in Zukunft das Wichtigste lesen und schreiben, wenn sie von hier fortgehen“. Trotz fehlender medizinischer Versorgung sei die Vorsorge viel besser geworden in den letzten Jahren. Das Radio ist wichtige Quelle für Wissen. Programme zur Landwirtschaft und Gesundheitsvorsorge gehören zu den am meisten gehörten Sendungen.
Vor einigen der Häuser sind Solar-Panels angebracht. Ein Kabel geht entlang der Lehmwand ins Innere des Hauses, wo es eine Batterie auflädt. Abdallah knipst den Lichtschalter an, der eine Sparlampe in Gang setzt. „Alle hier wollen Solarenergie. Wir sind bereit dafür zu zahlen.“ Bei dem Projekt einer kleinen deutschen Hilfsorganisation teilen sich NGO und Bewohner die Kosten. Ein Modell, das Schule machen könnte. Statt kostenloser Rundum-Sorglos-Pakete wird so Eigenverantwortung geweckt.

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