Montag, 23. März 2009

Nawroz (Neujahr) III





Sieben bis acht Stunden Fahrt sind es von Kabul nach Mazar, 430 Kilometer. Die erste Hälfte auf Asphalt, der nach drei Jahren schon wieder extrem reparaturbedürftig ist. Ausgeführt im Auftrag internationaler Baufirmen und mit Entwicklungshilfegeldern, die alles andere als nachhaltig angelegt sind. Zu gut deutsch: Pfusch am Bau. Die Geschichte ähnlicher Fälle, in denen ausländische wie afghanische Baufirmen Geld in die eigene Tasche gesteckt haben, um mit dem verbleibenden Rest einen kümmerlichen Teer-Belag aufzutragen, füllt ein paar kritische Berichte, leider viel zu wenige. Erst bei Pul-e-Khumri, wo sich die Strasse gabelt – rechts nach Kunduz, links nach Mazar – wird die Fahrbahn merklich besser. Das Werk japanischer Strassenbau-Ingenieure, erfahre ich.
10 Kilometer vor Mazar, vorbei am zentralen deutschen Militärcamp für den Norden Afghanistans, dessen Bau allein mehr als 50 Millionen Euro verschlungen hat. Deutsche Gastmusiker sind an diesem und in den nächsten zwei Tagen nicht präsent bei den Live-Konzerten, die Teil des Musikfestivals sind. In der Uni von Mazar spielt aber eine US-amerikanische Jazz-Band. Fünfhundert Stundente steppen angeregt mit, keine Frau ist im Publikum. Mit diesen Botschaftern aus Übersee sind ausnahmsweise alle einverstanden. Es zählt die Unterhaltung, nicht die Nationalität. Auf dem Weg zur Uni und zurück lauter spontane Tanzeilagen, Trommelwirbel, Jubel und Gegröhle. Wenn man die Augen schliesst, aus der Ferne lauscht, klingt es ein wenig vertraut wie das rauschende Feiern deutscher Fussballfans nach einer gewonnenen WM-Partie. Hier allerdings kist kein Alkohol im Spiel, jedenfalls nicht sichtbar. Auch Frauen mit ihren Männern und Kindern mischen sich in die Menge, mal in High Heels, mal in für afghansiche Verhältnisse eher engen Jeans. „Mazar war schon immer eine freiere Stadt. Das ist das Selbstverständnis des Nordens, nachdem man den Salang Tunnel verlässt und weiter in die Ebene fährt“, meint Reza.

Es mögen 200-300.000 Menschen in den Strassen von Mazar sein an diesem Abend. „Ein Zeichen, dass wir leben“, meint Ali, „auch ein Zeichen gegen Menschen, die extremer denken als wir und heute abend nicht hier sind.“ Die Menschen, die aus den Autos steigen, haben einen langen Weg in Kauf genommen. Mehrere Gruppen, mit denen ich mich unterhalte, sind aus Kandahar und aus Helmand, was man ihren etwas weniger Freude ausstrahlenden Gesichtern manchmal fast anzusehen meint. 14 Stunden Fahrt und die Hoffnung, dass dort, wo sie herkommen, die Zivilbevölkerung nicht noch weiter aufgerieben wird, zwischen Taliban und westlichem Militär.
An diesem Abend gehört die Strasse, das Leben, wie in den Vorjahren am Neujahrsfest, den Menschen um den Platz an der blauen Moschee. Es bleibt ruhig, kein Anschlag, keine Opfer. Ein Bild vom Norden ganz anders als es unsere Medien zuhause oft vermitteln

Nawroz (Neujahr) II






Alle Menschen sind auf den Beinen, im Freien. Trauben von Männern sitzen links und rechts der Fahrbahn. Spielen Musik und tanzen. Andere haben Volleyball-Netze gespannt. Autos sind im Grün geparkt, wie man es sonst bei uns nur aus der Fernsehwerbung kennt. Jeder sucht sich seinen Platz, auf einer Decke wird gepicknickt.
Für Afghanistans Frauen ist Neujahr vielleicht einer der schönsten, symbolischten Tage. Ohne ihre Männer, eine nach der anderen, wie aufgereiht an einer Perlenkette, erklimmen sie die schon leicht begrünten Gipfel vieler Bergkuppen. Wandelnde bunte Farbtupfer in blühender Landschaft. Auf dem Weg nach oben haben sie die Burka abgelegt, gehen barfuss. „Sabsha laghat kardan“, mit den nackten Füssen durch das Gras waten, soll ein Wohlgefühl verheissen, das möglichst lange im neuen Jahr andauert. Oben beten sie für Glück und Segen. So schnell sind sie nicht wieder so hoch oben, ein Gefühl von Freiheit, bildlich – für einmal – im Besitz der Hoheit über ihre Männer, die unten am Fuss des Hangs verweilen. Dem Himmel näher, und müssen, bei Sonnenuntergang, doch wieder runter, in das irdische Dasein.

Nawroz (Neujahr) I






Wir sind in Jebal-Saraj, 100 km nördlich von Kabul, auf dem Weg zur grossen Neujahrsfeier in Mazar-i-Sharif. Die entgegenkommende ISAF-Patrouille fährt mit drei Fahrzeugen im Konvoi, Maschinengewehr im Anschlag, durch die Innenstadt. Die Gesichtspartien der Soldaten, die durch die gepanzerte Montur zum Vorschein kommen, wirken angespannt. Sie sind kaum älter als 20. Die umstehenden Händler schauen ihnen nicht in die Augen. Jede Geste oder Bewegung könnte ein Missverständnis auslösen. Der Finger der Soldaten sind nicht immer, aber immer häufiger am Abzug. Vor vier oder fünf Jahren war das anders, da winkten Passanten den Konvois zu. Heute sind an den Fahrzeugen des ausländischen Militärs grosse Aufkleber angebracht mit der Aufschrift: „Achtung, Abstand halten!“ Angst haben beide Seiten: die Soldaten vor potentiellen Attentätern, die sich der Patrouille nähern könnten (weil es keine klare Beschreibung, kein wirkliches Täterbild gibt sind faktisch alle Afghane, auch Jugendliche, verdächtig). Die Afghanen fürchten sich ihrerseits vermutlich weniger vor den Gewehrläufen, die auf sie gerichtet sind, als vor der Unberechenbarkeit derer, die sie bedienen.

Was braucht es, damit diese jungen Soldaten, die kaum eine Ahnung haben davon, worauf die afghanische Kultur gebaut ist, die ‚Herzen und Köpfe’ (hearts and minds) der Bevölkerung gewinnen? Das ist, vereinfacht gesagt, Teil ihres Auftrags. Die meisten haben noch nie mit einem Afghanen auf der Strasse geredet, und sie werden es auch nicht tun, solange sie im Land sind.

Gestern abend berichtet T., ein Afghane, der für eine Hilfsorganisation in Kabul arbeitet, von einem Vorfall jüngst in der Provinz Logar, Bezirk Baraki Barak, 40 Kilometer südlich von Kabul.
“Die Menschen in unserem Dorf im sind auf die Strasse gegangen. Ihr Unmut richtete sich gegen das Vorgehen von US-Spezialeinheiten, die am Vorabend aufgetaucht waren. Sie kamen nachts, ohne Vorwarnung. Offenbar, um Verdächtige zu suchen und abzuholen. Sie drangen in eine Moschee ein. Der Mullah war noch da und ein junger Mann. Der junge Mann wurde getötet, am nächsten Morgen war Blut auf dem Fußboden der Moschee. Eine Frau und ihr Kind wurden von Kampfhunden verletzt. Die Soldaten waren in ihr Haus eingedrungen. Sie fragten nach dem Mann der Frau. Er war nicht da. Die Hunde wurden auf Frau und Kind losgelassen, bissen sie in Arm und Bein. Sie meldeten sich verletzt bei der nächsten Polizei. Unlängst hat das US-Militär hier schon einmal sechs Männer gesucht, ohne Erklärung, und mitgenommen. Die Dorfältesten sprachen das amerikanische PRT (Provincial Reconstruction Team) auf den Vorfall an. Es hiess, das PRT sei nicht zuständig. Dies hier seien andere US-Spezialeinheiten, aus Bagram, dem US-Luftstützpunkt nördlich von Kabul befehligt. In Logar sind rund 1.500 zusätzliche US-Soldaten angekommen. An Logar grenzt die Provinz Paktia im Osten und Wardak im Westen. Auf beiden Seiten gibt es zahlreiche Vorfälle. Baraki liegt mitten dring, auf dem Weg.
Vor einem bis einem halben Jahr waren Taliban hier aktiv. Sie kamen ebenfalls in der Dunkelheit, forderten Bewohner auf, nicht mit Ausländern zusammenzuarbeiten. In einem Fall haben sie ein Motorrad geklaut. Die meisten Menschen hier sind gegen die Taliban. In letzter Zeit sind es weniger geworden. Die Menschen sind wegen all dieser Vorfälle der letzten Zeit sehr beunruhigt“
Kein Einzelfall in Logar, wie mir eine deutsche Entwicklungshelferin bestätigt, die seit über einem Jahrzehnt im Land arbeitet.
Hat es etwas mit derlei Vorfällen zu tun, die sich zahlreich in afghansichen Medien wiederspiegeln, dass Ausländer weisser Hautfarbe zunächst für Amerikaner gehalten werden? Sobald ich erkläre, dass ich es nicht sei, entspannen sich die Gesichter im Allgemeinen.

Mittwoch, 18. März 2009

Das Leid der Anderen




Ein 5-fünfjähriges Mädchen hat dieses Bild gemalt. Es soll den Schrecken an den 30. Jahrestag des russisch-kommunistischen Angriffs auf Herat symbolisieren und die Abwehrschlacht der städtischen Bevölkerung.
Ausgestellt sind dieses und andere Bilder in der Ahmad Shah Massoud Foundation, die benannt ist nach dem von Al Qaida zwei Tage vor 9/11 getöteten Führer des afghanischen Widerstands.
Warum, frage ich mich, werden afghansiche Kinder, die zumindest in diesem Teil Afghanistans in deutlich friedlicheren Verhältnissen aufwachsen als ihre Eltern, überredet solche Bilder zu malen? Erinnerungsarbeit wird hier zur Keule.
Die Liste der Mal- und Fotowettbewerbe ist gross, in denen vor allem internationale Organisationen, allen voran die Vereinten Nationen, aufrufen vermeintlich typische Phänomene von Leid und Katastrophe durch Kindeshand oder Jugendliche auf Papier zu bringen. Was ist mit dem Alltag der Kinder, der hier zwar unter armen Bedingungen abläuft, aber nicht weniger ausgelassen ist als überall auf der Welt?
Selbst gut gemeinte Ansätze bergen Fallstricke: Unlängst verteilten litauische Soldaten der ISAF Fotoapparate an afghanische Kinder und forderten sie auf, ihren Alltag abzubilden. Nach einigen Tagen bekamen die Kinder die Fotoapparate wieder weggenommen. Ihre Fotos wurden nach Litauen geflogen und dort ausgestellt. Wer schmückt sich hier mit wessen Bild?
Die Zahl der afghanischen Fotografen und Fotografinnen ist gross, die mit ihrer Präsenz und Hilfe erst ermöglichen, dass die meisten international mehr oder weniger bekannten Fotografen Zugang zu privaten Räumen und intimen Situationen der afghanischen Gesellschaft bekommen. Den Ruhm und die Honorare kassieren in der Regel die Ausländer. Zugleich verharren die Bilder der meisten dieser ausländischen Fotografen in einer stereotypen Bildsprache. Anforderungen und Erwartungen der heimischen Nachrichtenredaktionen bestimmen meist den Rahmen für das Abbild und den Moment, in dem der Auslöser gedrückt wird.
Was und vor wie fotografiert erscheint mir der Überprüfung wert. Susan Sonntag hat Gedanken dazu in „Das Leid der Anderen betrachten“ formuliert.
„...dennoch haftet dem Akt des Fotografierens etwas Räuberisches an. Menschen fotografieren heisst, ihnen Gewalt antun, indem man sie so sieht, wie sie selbst sich niemals sehen, indem man etwas von ihnen erfährt, was sie selbst niemals erfahren; es verwandelt Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann. (…) Wie die Kamera die Sublimierung des Gewehrs ist, so ist das Abfotografieren eines anderen ein sublimierter Mord – ein sanfter, einem traurigen und verängstigten Zeitalter angemessener Mord“. (…) Fotografieren bedeutet, an den Dingen, wie sie nun einmal sind, interessiert zu sein, daran dass ihr Status quo unverändert bleibt. Es bedeutet, im Komplott mit allem zu sein, was ein Objekt gerade interessant macht, auch – wenn das gerade von Interesse ist – mit dem Leid und Unglück eines anderen Menschen.“
Es ist schwer, sich davon freizumachen sobald man mehr sucht als nur das Abbild aus den Nachrichten.

Sonntag, 15. März 2009

Kein Deutsch mehr in Herat





Seit drei Jahren kann man Deutsch als Fremdsprache an der Universität von Herat (Bild) studieren. Das hat jetzt ein Ende, erzählt mir Amanullah einer der engagiertesten Studenten in fliessendem Deutsch. Ab kommender Woche, wenn nach dem hiesigen Neujahrsfest die Universität wieder startet, werde der gesamte Unterricht nach Kabul verlegt und die Studenten gleich mit dazu. Ingesamt rund 20 Personen, darunter 7 Frauen.
Amanullah hatte noch im Sommer vergangenen Jahres mit dem deutschen Aussenminister diskutiert, als der Herat zu Besuch war. „Es war eine sehr interessante Begegnung“, erinnert er sich, „Herr Steinmeier hat sich erkundigt, warum wir Deutsch studieren und wir haben ihn mit Fragen überhäuft, ob und wann es noch mehr Stipendien für Deutschland geben werde. Dazu, hat er nur gemeint, könne er Nichts sagen.“
Hat Steinmeier damals möglicherweise schon gewusst, dass der Traum dieser jungen Menschen Deutsch weiterzustudieren zumindest in Herat vorerst ausgeträumt ist?
Bislang habe es jedes Jahr vier Stipendien zum Studium in Deutschland gegeben, so Amanullah. „Ich habe mich seinerzeit bewusst für Deutsch als Studienfach entschieden. Hier gab es damals noch ein deutsches PRT (Provincial Reconstruction Team) und damit auch die Aussicht auf eine Beschäftigung als Übersetzer. Dann ging das deutsche PRT und die wenig zuverlässigen Italiener kamen. Später schloss auch das deutsche Konsulat, das sinnvoll war, damit Stipendiaten wie Entwicklungshelfer nicht immer nach Kabul reisen mussten. Und nun macht auch noch der mühsam aufgebaute Fachbereich Deutsch zu. Ich finde das traurig.“
Künftig sind Mazar und der Norden Afghanistans die Brückenköpfe der Deutschen am Hindukush. Deutsche Helfer erzählen von politischem Druck, der auf ihre Organisationen ausgeübt worden sei, damit sie ihre Geschäfte wie das Militär in den Norden des Landes verlegten. Dabei ist klar ersichtlich, dass vor allem langfristiges Engagement an ein und demselben Ort sich auszahlt.

Zurück zur Herater Uni. Engpässe bei den Dozenten scheinen ein Grund für den Umzug nach Kabul zu sein. Der DAAD (Deutsche Akademische Austauschdienst) konnte zuletzt weder erfolgreich einen Lektor nach Herat vermitteln (die Sicherheitslage dürfte dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben), noch gelang es der Fachaufsicht in Kabul offenbar, motivierte und ausreichend bezahlte afghanische Dozenten nach Herat zu schicken.
Oder steckt Absicht dahinter? Amanullah spekuliert: Der Besuch von Steinmeier habe die Kabuler Fachaufsicht und Dozentenschaft möglicherweise schwer neidisch gemacht. „Der Fachbereich Deutsch in Kabul ist über 40 Jahre alt, der in Herat gerade einmal drei Jahre. In der Hauptstadt habe man Steinmeiers Besuch in der Provinz möglicherweise als eine persönliche Demütigung empfunden. Jetzt rächte sich die Kabuler Uni.“
Zurück bleibt ein Versprechen, von dem Amanullah und seine Kommilitonen den Eindruck haben, dass es nicht richt eingehalten worden ist.
Als die Bundesrepublik 2006 in Herat den Fachbereich einrichtete tat sie das mit der Absicht, junge talentierte Männer und Frauen für die Sache zu gewinnen. Die 60er und 70er Jahre stehen Pate. Die deutsch-sprachigen Minister im Kabinett von Präsident Karsai sind Absolventen deutscher Hochschulen. An diese Zeit anzuknüpfen trotz aller Schwierigkeiten ist erklärtes Ziel der Entwicklungshilfe. Nun kommt es anders als geplant. In der Rückschau erscheint das Gespräch Steinmeiers mit den Herater Studenten als ein Treffen, das Hoffnungen geweckt hat, die erst einmal nicht erfüllt werden. Zwar wird weiterhin Deutsch an der Universität Kabul unterrichtet. Auch für Herat sollen sobald Dozenten gefunden sein, damit der Fachbereich nicht ein jähes Ende findet. Einstweilen bleibt eine hochmotivierte Studentenschaft enttäuscht zurück. „Die letzte deutsche Lektorin ist Mitte vergangenen Jahres gegangen. Seitdem gibt es für uns im Grunde nur Beschäftigungstherapie. Drei Stunden Deutsch pro Tag stehen nur theoretisch auf dem Lehrplan, es gibt keine vernünftige Lehrkraft“, meint Amanullah.

Dienstag, 10. März 2009

Nabelschnur zur ländlichen Welt



Shotor Daran – zu deutsch 'Der Besitzer des Kamels' – ist ein Dorf 20 Kilometer nördlich von Herat. Hier leben 150 Menschen. Es gibt keine Taliban, aber auch die Entwicklungshilfe kommt hier nur mit einem kleinen ‚e’ an. Von einem der grössten staatlich-internationalen Hilfsprogramme, NSP (National Solidarity Programme), das seit 2002 bis zu 20.000 Dörfer in ganz Afghanistan erreichen soll, haben die Menschen hier noch nichts gespürt.
Im Dorf mischen sich sesshafte Bevölkerung mit Nomaden und Halbnomaden. Zwischen den Lehmbauten sind grob geflochtene Zelte gespannt. Einige der Nomaden machen nur wenige Tage Station und ziehen dann weiter, dem Grün der Hügel für ihre Ziegen- und Schafsherden folgend.
„Für die Regierung existieren die Nomaden nicht“, meint eine Helferin, die
hier draussen mit ihrer Organisation Latrinen für das Dorf gebaut hat. Eine halbe Million Kuchis, wie die Nomaden genannt werden, tauche so in den Statistiken der staatlichen Behörden oft gar nicht auf. Entsprechend fehlten Bildungs- und Gesundheitsprogramme. Die Kuchis wünschten sich Hilfe in Form von Unterricht und Ausbildung die dem Weg ihrer Migration folgen. Die Hilfsorganisationen stiessen hier an ihre Grenzen, einwöchige Kursangebote seien deshalb oft nur leistbar. Bei den vielen Hilfsorganisationen und Behörden im Land wäre ein besserer Netzwerk-Effekt unbedingt zu prüfen.
In Shotor Daran gibt es keinen Fernseher und keinen Arzt, keine ausgebildete Hebamme und keine Klinik im Umkreis von 15 Kilomentern. Die kleine Fatima, die den Tee einschenkt, ist noch nicht sieben Jahre alt und bereits dem Mann einer befreundeten Familie versprochen. All das klingt düster, archaisch. Die Stadt ist nah und doch so weit. Die Verkehrsader, die das Dorf mit der asphaltierten Strasse verbindet, ist ein kleines Wadi. Jeder Regen spült die Fahrbahn weg. Die Reifenspur im Lehn ist wie eine dünne Nabelschnur zwischen urbaner und ländlicher Welt.
Manchmal ist es eine einzige Person, die die beiden Welten verbindet. In Shotor Daran ist es Abdallah. Der junge Mann ist Anfang 30, besitzt ein Motorrad und ist der einzige Lehrer im Dorf. „Hier gibt es zum ersten Mal überhaupt seit kurzem eine Schule“, sagt er. Der Bau hat 4.500 Dollar gekostet, ein Flachbau zu dem die rund 100 Schüler aus den anliegenden Dörfern aus mehreren Himmelsrichtungen über die Hügel kommen. „Die Jungen und Mädchen können in Zukunft das Wichtigste lesen und schreiben, wenn sie von hier fortgehen“. Trotz fehlender medizinischer Versorgung sei die Vorsorge viel besser geworden in den letzten Jahren. Das Radio ist wichtige Quelle für Wissen. Programme zur Landwirtschaft und Gesundheitsvorsorge gehören zu den am meisten gehörten Sendungen.
Vor einigen der Häuser sind Solar-Panels angebracht. Ein Kabel geht entlang der Lehmwand ins Innere des Hauses, wo es eine Batterie auflädt. Abdallah knipst den Lichtschalter an, der eine Sparlampe in Gang setzt. „Alle hier wollen Solarenergie. Wir sind bereit dafür zu zahlen.“ Bei dem Projekt einer kleinen deutschen Hilfsorganisation teilen sich NGO und Bewohner die Kosten. Ein Modell, das Schule machen könnte. Statt kostenloser Rundum-Sorglos-Pakete wird so Eigenverantwortung geweckt.

Obamas Avance




Zu den Überlegungen von US-Präsident Obama Gespräche mit "gemäßigten Taliban" zu führen.

Samstag, 7. März 2009

Fortschritt und Trauma


Den Geberländern und einem internationalen Medienritual verdankt Afghanistan neuerdings Feiern zum internationalen Frauentag. Manch eine macht das skeptisch. „Ich werde zu keiner der offiziellen Veranstaltungen gehen. Die Ehrerbietungen im Fernsehen an die Mütter Afghanistans sind wenig aufrichtig gemessen an der Wirklichkeit“, findet Manizha, die Anfang 30 ist, im pakistanischen Exil studiert hat eine seit Kurzem eine eigene Bildungseinrichtung in Herat betreibt. „Schau dir den Alltag auf der Strasse an. Frauen müssen das Kind im Arm tragen, die Einkaufstüten hinterhertragen und wartend am Boden kauern, alles unter dem Schleier. Sie müssen hinter den Männern gehen statt auf gleicher Höhe, weil die sich für ihre eigenen Frauen schämen.“
Manizhas Bildungskurse sind überwiegend von Frauen besucht: Englisch, Computer und Management. Sie durstet buchstäblich nach Wissen, sucht den Kontakt zu Ausländern, von denen sie einige für fähig, andere für gutbezahlte Fehlbesetzungen hält. Neuerdings arbeitet sie mit einer internationalen Hilfsorganisation. „Vieler meiner Landsleute sehen das kritisch wenn man eine Frau ist. Es geht der Verdacht, wir würden uns dort über Gebühr mit den Ausländern einlassen.“
Kraft schöpft sie aus dem Glauben, ohne jeglichen Fanatismus. Ihr Lächeln ist eine Einladung zum Dialog: „Der Islam gibt uns Frauen viele Rechte, er erzählt davon, dass unsere Männer uns unterstützen müssen, uns die Ausübung eines Beruf zusteht. In der Praxis wird uns das verwehrt. Neulich hat eine Bekannte von mir so argumentiert, der Mullah, der dabei stand hatte keine richtige Antwort darauf.“
Und sie bewegt sich doch. Oder nicht?

Nadja Anjuman ist eine der wenigen afghanischen Lyrikerinnen, die einen Eintrag im Internet-lexikon Wikipedia haben. Der afghanisch-französische Prix-Goncourt-Gewinner Atiq Rahimi hat ihr seinen neuen Roman gewidmet. 2005 ist Nadia Anjuman gestorben. Nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann hatte sie das Bewusstsein verloren. Kurz darauf verstarb sie im Krankenhaus. Ihr Ehemann gestand, sie geschlagen zu haben. Er kam in Untersuchungshaft. Zeugen gibt es keine. Und eine juristische Beweisführung, gerade in Afghanistan, ist schwierig. Seit wenigen Tagen ist der Ehemann von Nadja Anjuman wieder auf freiem Fuss. „Nicht nur das“, sagt Maria Bashir, „er heiratet in Kürze auch eine neue Frau“, schüttelt sie ungläubig den Kopf. Maria Bashir ist Herats leitende Staatsanwältin. Als einzige Frau in der Hierarchie der Herater Justiz kämpft sie gegen Korruption und mafiöse Strukturen. Gelegentlich verzeichnet sie Erfolge. „In rund 60 Fällen ist es gelungen Opfern von Gewalt zu helfen“, erzählt sie. Die Widerstände sind gewaltig. Todesdrohungen, Anschläge auf ihr Zuhause – all das hat es bereits gegeben. Kein noch so gut gemeintes „law enforcement“-Programm westlicher Geberländer vermag dies im Handumdrehen zu ändern. Die Kräfte, die hier wirken, sind Generationen alt.
Und sie bewegt sich nicht. Oder doch?

Im vergangenen Jahr war es in Herat so gut wie unmöglich für Studentinnen ein Internet-Café zu finden. Nur ein winziger Teil verfügt zuhause über einen privaten Anschluss. „Das hat sich geändert“, erklärt Huma, „mittlerweile gibt es einige Internet-Cafés für Frauen. Auch solche, bei denen man Männer und Frauen antrifft.“ Grund sei eine gewachsene Offenheit der Herater Zivilgesellschaft: Eltern, Internetbetreiber und Behörden hätten verstanden, dass am Drang von Frauen nach Bildung kein Weg vorbeiführt.
Ist der Internet-chat zuende, hüllen sich die Frauen in den iranischen tashador namaz, der Füsse und Gesicht freilässt, und treten auf die Strasse. Anders als in Kabul traut sich kaum eine Frau in Herat allein mit Kopftuch noch dazu geschminkt auf die Strasse. Herat mit seinen geschätzten 700.000 Einwohnern als drittgrösste Stadt Afghanistans bleibt eine religiös geprägte, konservative Stadt mit Tabus, der Macht der Gerüchte aber auch Fortschritten.
Traurige Berühmtheit hat die Provinz wegen der vielen Fälle erlangt von Frauen, die sich in ihrer Not selbst verbrennen. Auch in diesem Jahr sind es fast einhundert Fälle. Aus Mitteln der Europäischen Union und der französischen Hilfsorganisation Humaniterra wurde ein neue Notstation für Verbrennungsopfer errichtet. (Bild) „Die Frauen verbrennen sich an Gasflaschen oder schütten sich Benzin über den Körper. Verbrennungen dritten Grades können wir oft nicht mehr retten“, so ein Stationsarzt, „anderen können wir durch eine bessere Versorgung und Medikamenten europäischen Standards helfen.“
Eine internationale Hilfsorganisation begleitet seit einigen Jahren Opfer von Verbrennungen mit psychologischer Hilfe. Über die neue Notaufnahme, die zumindest über Anästhesie-Präparate verfügt - ein Privileg im Vergleich zu anderen Stationen - vermag der Programmleiter sich nicht recht zu freuen. „Im neuen Krankenhaus für Opfer von Verbrennungen ist das System korrupt“. Manchmal würden Frauen in Not nur operiert wenn sie Essen und Medikamente selbst bezahlen könnten. Einer der Stationsärzte leugnet das auf Anfrage. Er erzählt, dass neuerdings sogar Männer mit Verbrennungen eingeliefert würden. Ein Junge sei von seiner Mutter mit Benzin übergossen worden, ein anderer habe sofortiges Asyl erzwingen wollen indem er sich anzündete. Vier von fünf jungen Männern seien ihren Verbrennungen erlegen. Das Hauptleid aber tragen nach wie vor die Frauen. Fatima ist 15. Ihr Hals ist überzogen mit Brandwunden, die wie ein hellrosanes Geschwür aussehen, dass nie ganz vernheilen wird. Sie sieht „Tolsi“ für ihr Leben gern, eine indische TV-Soap im afghanischen Fernsehen. Weil ihr Vater dies mit aller Gewalt unterbinden wollte, beschloss sie aus Protest, sich anzuzünden.
Die Frau neben ihr könnte ihre Mutter sein. Ihr Mann habe sie geschlagen aus Ärger über seine eigene Arbeits- und Erfolgslosigkeit. Eine Fehlgeburt habe sie deshalb gehabt. Der Mann habe danach Besserung gelobt. Seitdem hat sie zwei Kinder zur Welt gebracht. „Einige Ehemänner können wir von dem Sinn einer psychologischen Betreuung überzeugen. Für ihre Frauen wohlgemerkt“, so der Helfer, „die Männer selbst lehnen jegliche Hilfe ab.“

Dienstag, 3. März 2009

"We agreed, not to cooperate"


In Herat regnet es seit drei Tagen ununterbrochen. Flüsse treten über ihre Ufer, Wiesen werden zu Seen. 90 Lehmhäuser sind eingestürzt durch den Regen, es wird ein paar Tage dauern, eine genaue Schadensbilanz zu erstellen. Die Menschen sind dennoch zufrieden. Nach einem milden Winter ist das Wasser ein Segen für die Landwirtschaft. „Danach wird es sechs Monate lang nicht mehr regnen“, sagt ein Agrar-Experte, „da ist jeder Tropfen jetzt wertvoll“.
Gut war auch die Absicht auf der letztjährigen Pariser Afghanistan-Konferenz, inbesondere die Landwirtschaft in Afghanistan zu stärken. Afghanistan ist ein Agrar-Staat auf absehbare Zeit, rund 80 der Bevölkerung arbeiten auf den Feldern und hängt von der Ernte ab. Präsident Karsai gab in Paris das Ziel aus, sein Land wolle im Bereich der agrarischen Produkte autark werden. Ein ambitioniertes Ziel, das von vielen Experten belächelt wird und im besten Fall auf lange Zeit umzusetzen ist. Der Löwenanteil der Agrar-Importe, angefangen bei Reis, Öl und Gemüse stammt aus Iran und Pakistan. Zum Teil sind es aus Afghanistan reimportierte Waren. Ein Grund: am Hindukusch fehlen weiterhin Kühl- und Lagerkapazitäten, die Kartoffeln oder Blumenkohl bis in die nächste Jahreszeit frisch halten. Viele Helfer bemängeln dies seit Jahren, geschehen ist wenig. Zugleich ist der Bedarf enorm.
“We agreed not to cooperate“ („Wir haben beschlossen, nicht zusammenzuarbeiten“) kommentiert Herats Gouverneur Yosof Norrestani (Bild) die Verständigung zwischen afghanischer und internationaler Seite. Aus diesem Satz lässt sich viel herauslesen – der Frust, bei strategischen Entscheidungen übergangen zu werden, die Anklage, eine bessere Kooperation versäumt zu haben, die Aufforderung es besser zu machen. Der Gouverneur ähnelt nicht dem Klischee, das man sich vom wilden Afghanistan macht. Krawatte, Anzug, gepflegtes Äusseres. Der Mann hat in den USA studiert, offenbar sogar seinen Doktor gemacht. Er stammt aus Nuristan, der Region Afghanistans, die erst vor gut einem Jahrhundert islamisiert wurde. Er weiss wovon er spricht, wenn er die schleppende Aufbauhilfe kritisiert. Norrestani hat selbst als Entwicklungshelfer gearbeitet. Jetzt repräsentiert er die Regierung Karsai. Ein König ohne Land: den mittellosen Rückkehrern aus dem Iran kann er in den seltensten Fällen das von der Regierung versprochene Land zusagen, für die neu gepflanzten Baumalleen in der Stadt fehlt ihm ein Brunnensystem. Im Gespräch mit Hilfsorganisationen sondiert er, ob diese unmittelbare Hilfe bereitstellen können. Er tut dies mit der Geste eines Staatsmannes, möchte nicht als Bittsteller dastehen.
“We agreed not to cooperate“. Der Satz geht einem nicht aus dem Kopf. Der Sarkasmus ist nicht ganz unbegründet. „Tatsächlich gibt es für ganz Herat keine langfristige Strategie“, sagt der Leiter einer deutschen NGO. Hilfsorganisationen und afghanische Behörden stimmen sich seit Jahren nur über die Nothilfe ab. Etwa im letzten Winter, als viele Menschen durch einen Kälteeinbruch starben und hungerten, oder jetzt angesichts der Dürre im Norden. Bei den wirklich wichtigen Projekten und einer nachhaltigen Zusammenarbeit dagegen: Fehlanzeige. „Eigentlich wäre es Aufgabe von UNDP, des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen, auch die afghanischen, aber das geschieht nicht“, stellt er frustriert fest.
Mangel an Zusammenarbeit; fehlende Transparenz der Geberländer im Umgang mit Afghanistan; Hinweise über Milliarden-Hilfen, die nicht, zu spät oder falsch investiert worden sind – all das pfeiffen die Spatzen seit Jahren von den afghanischen Dächern. Vereinzelt nehmen sich deutsche Medien des Themas an. Der Grund liegt auf der Hand: es geht um möglichen Gesichtsverlust. Es geht aber auch um mögliche Einsichten, wenn man verstehen will, warum die Hilfe im achten Jahr nach den Taliban nicht die erhoffte Wirkung entfaltet, und darum zu verstehen, wie in Afghanistan Politik gemacht wird.
Die FAZ thematisiert aktuell mögliche „Rechenfehler der Geberländer“, von denen einige bereits unmittelbar nach der Pariser Konferenz im vergangenen Jahr die Runde machten. Tatsächlich soll die internationale Staatengemeinschaft deutlich weniger Gelder zugesagt haben als bisher angenommen. Zugesagte Gelder stauen sich ausserdem: dies hängt am afghanischen Behörden-Apparat und ungenügenden Kapazitäten, die Gelder effizient und gezielt zu verplanen. Die andere Seite der Medaille ist die bei Hilfsorganisationen und Geberländern verbreitete Skepsis, überhaupt mit dem afghanischen Staat zusammenzuarbeiten.
Eine unabhängige Studie im Auftrag der Grünen im europäischen Parlament kritisiert die vermeintlich überwiegend positive Bilanz der Bundesregierung in Sachen Wiederaufbau:
“ (…) Germany was not exactly a role model of aid effectiveness, so the starting point of this progress was fairly low. Furthermore, in the case of Afghanistan some statistics suggest severe failings: Only 9 per cent of Germany’s government aid actually utilizes administrative institutions of Afghanistan and alarmingly zero per cent of Germany aids was based on programs developed by the Government of Afghanistan.Adding to this the generally insufficient performance as the lead nation for police reform and an evident disinterest to engage in Afghanistan, calling Germany’s involvement in Afghanistan successful would be quite a stretch.”
Vor diesem Hintergrund erscheint die verbreitete internationale Kritik an Präsident Karsai und seiner Regierung als eine Anklage, bei der vier Finger auf die Geberländer zurückverweisen. Indem er Karsai zum Buhmann macht, bezichtigt der Westen nicht zuletzt sich selbst.