Dienstag, 24. Februar 2009

Folgen eines Luftangriffs


Erneut sind bei einem Luftangriff in der Provinz Herat zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen. Kurzmeldungen gab es sowohl bei CNN als auch im afghanischen Fernsehen. Aber keine Bilder. Inzwischen haben die Koalitionstruppen unter US-Führung eingestanden, dass nicht überwiegend Taliban bei dem Angriff im Bezirk Guzara ums Leben kamen, sondern mehr als ein Dutzend unbeteiligte Zivilisten. Vorfälle dieser Art nehmen kaum ab, obwohl die NATO mehr Umsicht bei Luftschlägen angekündigt hat. “Die Unzufriedenheit und der Hass bei den Menschen wächst“, sagt Rateb, „weil weder das ausländische Militär noch die Regierung den Menschen eine Begründung oder eine Entschuldigung für den Tod der Zivilisten liefern.“
Ratebs Familie geniesst Ansehen in Herat und sein Wort vermag etwas zu bewegen, manchmal zumindest. An diesem Morgen fährt er mit 3 Tonnen Hilfsgütern im Auftrag der Hilfsorganisation DAI nach Karez Soltan. Auf dem Laster sind Reis, Öl und Tomaten für einhundert Familien. Er sei der Erste, der sich knapp eine Woche nach dem Vorfall bei den Menschen sehen lasse. Karez Soltan liegt 40 Kilometer südlich von Herat Stadt, eine kleine Ansammlung von Lehmhäusern. Nochmal ein paar Kilometer weiter, schon in den Bergen, der eigentliche Tatort. Karger Steinboden. Kuchis, afghanische Nomaden, hatten hier campiert. Jetzt ist dort ein frisches Grab. (Bild)
“Von Weitem kamen mir zerfetzte Zeltplanen entgegen, es gibt reihenweise Kadaver von Kamelen und Eseln, zum Teil mit Sand bedeckt. Die Familie wurden um 4.30, noch im Dunkeln, überrascht.“ Rateb zieht einen Zettel aus der Tasche. Darauf stehen die Namen der Opfer, so wie der Arbab von Karez Soltan sie ihm am Telefon diktiert hat. „Abdul Kahleq, 35 Jahre alt, Isa’abad, sein Sohn, 15 Jahre, Abdul Khaleq 12 Jahre, auch sein Sohn. Die Frauen: Nabad, 50, Aarzoo, 30, Zahra, 7 Jahre, Fatema, 3, Kathima 1 Jahr. Dazu 280 Schafe, 15 Kamele, 63 Esel.“
Warum wurde die Nomadenfamilie bombardiert?, frage ich ihn.
Das sei, wie so vieles in diesem und anderen Fällen unklar, antwortet er. Unweit des Grabs stehen zwei zerstörte Jeeps. In einem soll ein bewaffneter Aufständischer gewesen sein.
In der Gegend um Karez Soltan ist der ex-Mujaheddin und ehemalige Leiter des Strassenbauamtes von Herat, Yahya Siashani, mit einigen seiner Männer aktiv. Weil der vormalige Gouverneur ihn aus dem Amt entfernt hatte, sinnt er auf Rache. Es heisst, er bekämpfe die Regierung im Umland und bis an die Stadtgrenze von Herat, oder seine Leute verteilten sogenannte ‚night letters’, in denen die Bevölkerung gewarnt werde, mit ausländischen Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten. Ganz so unzugänglich und brutal, wie ihn manche Medien beschreiben, scheint er nicht zu sein, wenn man Rateb erzählen hört, vielmehr tief in seinem Stolz gekränkt. Und das ist in Afghanistan oft entscheidend. Ob und inwieweit Siashani mit den Taliban in Verbindung steht, ist schwer herauszufinden.
„Einer von Siashanis Männern in einem der Jeeps. Rechtfertigt das einen unangekündigten Luftangriff?“, fragt Rateb. Die 3 Tonnen Nahrungsmittel sollen ein Geste sein. (Bild) „Keiner hat den Menschen hier bisher erklärt, was vorgefallen ist. Kurz nach dem Angriff kam noch mal ein Hubschrauber zurück, um den Tatort zu inspizieren. Aber niemand in Karez Soltan, auch nicht die Angehörigen, sind in irgendeiner Form von NATO oder US-Militär informiert worden. Kein Beileid, keinen Händedruck“. Offenbar stiimmen Ermittlungen von US- und NATO-Militär mit jenen der afghanischen Streitkräfte nicht überein. Letztere sehen den Angriff auf eine erhebliche Zahl an Zivilisten als erwiesen an. Die Presseabteilung der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan scheint sich einmal mehr zu winden. Zugleich haben sie Entschädigungszahlungen angekündigt.
So ein Fall sorge für Verbitterung. „Die Menschen sagen mir, es erinnere sie an die Zeit der sowjetischen Besatzung. Auch der Hass der Bevölkerung auf die Regierung wachse so, denn in der Regel bleiben die Behörden untätig. Die NATO könne einen Stimmungsumschwung nur dann erreichen, wenn sie schnell und präzise in den Medien aufkläre über Vorfälle wie diesen. Je mehr ‚Kollateralschäden’, so Rateb, desto leichter mache man es den Taliban.
Weil er regelmäßig zwischen Afghanistan und Deutschland pendelt, wo er lange gelebt und die Hälfte seines Lebens verbracht hat, entgeht ihm auch der Stimmungsumschwung in Europa nicht. „Neuerdings erlebe ich in Deutschland verstärkt eine Haltung, als stünde die Bundeswehr in Afghanistan an vorderster Front und als zögen deutsche Soldaten für die Afghanen die Kohlen aus dem Feuer.“ Das Gegenteil sei richtig, findet er. „2008 wurden fast 7.000 afghanische Soldaten schwer verwundet, 1.300 Polizisten und drei Mal so viele afghanische Soldaten starben.“ Im Verhältnis dazu nähmen sich die Opfer der NATO relativ gering aus. Die sei, so Rateb, ein afghanischer Krieg, weshalb der Westen afghanische Polizei und Armee umgehend besser ausrüsten müsse. „500 US-Dollar Monatsgehalt statt 60 oder 120 bisher.“ Denn für das Vaterland allein wolle keiner mehr sterben. Solches Heldentum sei nach 30 Jahren Krieg auf der Strecke geblieben. Die Taliban kämpften für die Religion. Wenn es sich heutzutage für einen Soldaten oder Polizisten lohnen solle, sich dem entgegenzustellen, dann müsse es zumindest finaziell einen Anzreiz geben."
Auch für die zivilen Hilfsarbeiter und Organisationen kann so ein Vorfall Folgen haben. "NGOs operating in the district or based in Herat City should be prepared for possible protests to occur", heisst es in einem aktuellen Rundbrief zur Sicherheit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen