Samstag, 28. Februar 2009

Koch und Kellner


Neben vielen positiven Geschichten, in denen Einheimische und fremde Helfer gemeinsam Richtfeste feiern, Schulen einweihen oder zu Hochzeiten gemeinsam tanzen, gibt es auch die Kehrseite, das bewusste oder unbewusste Aneinandervorbeileben, die Parallelwelten, mitunter auch die Provokation, die dem Gastland entgegengebracht wird, dessen Gastfreundschaft von manch einem strapaziert wird.
In Kabul, Herat, Mazar und Jalalabad feiern jüngere Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Diplomaten oder Mitarbeiter von Beraterfirmen wöchentlich rauschende Partys weitgehend unter Ausschluss ihrer afghanischen Kollegen. Das scheint einerseits nicht anders zu gehen, weil der Ausschank von Alkohol offiziell verboten ist und Ärger mit den staatlichen Behörden vorprogrammiert ist. Andererseits entsteht so eine konsumistische Form der Apartheid, die zum Beispiel solche Afghanen beklagen, die Spirituosen grundsätzlich nicht abgeneigt sind, die aber das Nachsehen haben wenn ein Restaurant Alkohol nur gegen Nachweis eines ausländischen Passes ausgeschenkt oder Afghanen von vornherein nicht mit auf der Gästeliste stehen.
Eine Reihe Büros der Hilfsorganisationen werden von jungen Männern oder Frauen geleitet, die gerade einmal 30 sind oder sogar jünger, im Leben noch nicht unbedingt viel geleistet haben, wenig über ihr Gastgeberland wissen und täglich mit dem morgendlichen Speichern ihrer Lieblingsmusiken und dem abendlichen Planen von überwiegend hollywoodlastigen Filmabenden beschäftigt sind.
Dieselben Twens lassen sich oft von morgens bis abends von ihren afghanischen Hausangestellten bedienen und herumfahren, die ihre Eltern sein könnten, in einem Land, in dem Alter und Erfahrung in der Regel besonderer Respekt entgegengebracht werden und von denen nicht wenige ehrenhafte Berufe gelernt haben. Oft laut, gelegentlich halbtrunken hat diese Nachwuchskräfte aus Europa oder Amerika jegliche Scham weitgehend abgelegt und erwarten, dass ihre afghanischen Fahrer sie zu zur Tag- wie zur Nachtzeit abholen und durch die Stadt kutschieren.
Diplomaten, die Tacheles reden, bezeichnen es als einen Fehler, dass so viele junge Menschen unter den Helfern sind, wo doch das Land das Gegenteil bräuchte. Das betrifft z.B. eine 24-jährige Gender-Expertin, die ihre Magisterarbeit in Afghanistan fertig schreibt und ihren männlichen afghanischen Kollegen mit Kaffeebecher und Croissant in der Hand dessen eigene Heimat erklärt. Viele junge Entwicklungshelfer sitzen schon in frühem Alter in wichtigen Positionen. Sie sind familiär unabhängig, mobil und sorgen sich wenig um Fragen der Sicherheit. Erfahrene Entwicklungshelfer dagegen, die es dringend bräuchte, sind teurer und zögerlicher, weil die Trennung von ihrer Familie doppelt ins Gewicht fällt. Das Dilemma ist kaum zu lösen.
Es gibt aber auch den Landeschef einer deutschen Hilfsorganisation, der seiner afghanischen Mitarbeiterschaft Sauna und Swimmingpool als erstrebenswerte Notwendigkeit für den künftigen Bürobereich einreden will und dabei nicht merkt, an welchen gesellschaftlichen Stigmas er rührt. Nacktheit wir hier nicht zelebriert, öffentlich schon gar nicht. Der Entwicklungshelfer findet dies alles ‚scheissegal’, ein studierter Ethnologe noch dazu.
Die allerwenigsten Ausländer sprechen die Sprache ihres Gastlandes. Dabei ist dies ein Türöffner und kann Vertrauen, das eine rares Gut geworden ist, befördern. Stattdessen finden Dialoge auf Baby-Englisch oder Baby-Dari statt und nachdem man sich mitunter 3 Jahre lang kennt: „Guards, 2 breads. Car ready! Open gate“ oder „Du ta nan. Bukhari roshan.“
Mein Dari-Lehrer hält Ausländer generell für reiche Menschen. Er ist Universitäts-Dozent in Herat und besitzt ein eigenes Haus. Er sagt, er wisse, dass dies ein zurückgebliebenes Land sei, in dem die Menschen keine modernen Maschinen benutzten und nicht in der Lage seien, nach dem neuesten Stand der Erkenntnisse zu diskutieren. Er sagt auch, er glaube nicht, dass Afghanen zur Zeit das Sagen in ihrem eigenen Land hätten. Es missfällt ihm sichtbar, dass afghanische Technokraten aus dem Exil zurückgekehren, Berge an Geld verdienen und das Land nur noch tiefer in die Misere ritten. Und er prognostiziert, dass nur wenige Afghanen zur Wahl gehen würden im August, weil die Menschen das neu gewählte Parlament als fremd und aufgesetzt empfänden. „Dort sitzen die Mujaheddin; diejenigen, die auf die Gewalt der Waffen setzen; die Vertreter der Parteien, die keine Ahnung haben, was Gemeinwohl ist; und jene, die schlicht Diebe sind.“ Viele davon hätten angesichts eines Wahlrechts, das nicht zuletzt auf Betreiben westlicher Berater zustande kam, nie zur Wahl stehen dürfen. Aber der Westen hat sich für die Machtteilung mit den Machthabern von gestern entschieden. Ein nachhaltiger Irrtum.
Und hat Ustad Hasim, der Dari-Lehrer, nicht irgendwo Recht? Jahrelang hat Afghanistans Außenminister öffentlich auf Schelte an den Verhältnissen in Guantanamo verzichtet. Würde sich so der Vertreter eines wirklich souveränen Staates verhalten? Jetzt, wo Guantanamo geschlossen werden soll, bleibt das US-Militärgefängnis von Bagram vor den Toren von Kabul die Wunde im afghanischen Fleisch. Wie kommt es, dass weder Präsident Karsai noch Afghanistans Innen- oder Justizminister öffentlich zu einer Einrichtung Stellung nehmen, in der nicht weniger afghanische Insassen ohne rechtliche Grundlage einsitzen ähnlich wie auf Kuba.
Ein afghanischer Kollege schreibt mir aus Kabul über die neue Arbeit bei einer Hilfsorganisation, die mit Geldern der US-Entwicklungshilfe gefördert wird: „…the workspace is comfortable but the spirit is 17th century, especially nationality based discrimination (modern day racism). Expats (d.h. die Ausländer, Anm.d.Autors.) eat, sit and drive segregated and privileged. Afghans seem rather down. everybody has two faces. One at work and a personal one. Welcome to Afghanistan where everything is personal and public.”
Ein Einzelfall? Barnett Rubin, einer der führenden US-amerikanischen Afghanistan-Kenner schrieb über verbreitete Erscheinungen der Entwicklungshilfe: „ (…) Collectively we have generated an infrastructure serving only our needs that dwarfs the infrastructure provided for Afghans. This infrastructure -- of which the Serena Hotel is the flagship -- is the most visible part of the aid system to Afghans. Projects may mature in a few (or many) years, but right now Afghans see the guest houses, bars, restaurants, armored cars, checkpoints, hotels, hostile unaccountable gunmen, brothels, videos, CDs, cable television, Internet cafes with access to pornography, ethnic Russian waitresses from Kyrgyzstan in Italian restaurants owned by members of the former royal family and patronized by U.S. private security guards with their Chinese girlfriends and Afghan TV moguls, and skyrocketing prices for real estate, food, and fuel, traffic jams caused by the proliferation of vehicles and exacerbated by "security measures" every time a foreign or Afghan official leaves the office."
Die Analyse stammt von 2006, als das Serena 5-Sterne-Hotel in Kabul von Terroristen angegriffen wurde. Sie gilt unverändert. Bis heute wird weitgehend unterschätzt, welchen Effekt Kommunikation und interkulturelle Kompetenz zwischen Einheimischen und Gästen hat. Davon wiederum hängt nicht zuletzt der Erfolg vieler Aufbauprogramme ab.

Dienstag, 24. Februar 2009

Folgen eines Luftangriffs


Erneut sind bei einem Luftangriff in der Provinz Herat zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen. Kurzmeldungen gab es sowohl bei CNN als auch im afghanischen Fernsehen. Aber keine Bilder. Inzwischen haben die Koalitionstruppen unter US-Führung eingestanden, dass nicht überwiegend Taliban bei dem Angriff im Bezirk Guzara ums Leben kamen, sondern mehr als ein Dutzend unbeteiligte Zivilisten. Vorfälle dieser Art nehmen kaum ab, obwohl die NATO mehr Umsicht bei Luftschlägen angekündigt hat. “Die Unzufriedenheit und der Hass bei den Menschen wächst“, sagt Rateb, „weil weder das ausländische Militär noch die Regierung den Menschen eine Begründung oder eine Entschuldigung für den Tod der Zivilisten liefern.“
Ratebs Familie geniesst Ansehen in Herat und sein Wort vermag etwas zu bewegen, manchmal zumindest. An diesem Morgen fährt er mit 3 Tonnen Hilfsgütern im Auftrag der Hilfsorganisation DAI nach Karez Soltan. Auf dem Laster sind Reis, Öl und Tomaten für einhundert Familien. Er sei der Erste, der sich knapp eine Woche nach dem Vorfall bei den Menschen sehen lasse. Karez Soltan liegt 40 Kilometer südlich von Herat Stadt, eine kleine Ansammlung von Lehmhäusern. Nochmal ein paar Kilometer weiter, schon in den Bergen, der eigentliche Tatort. Karger Steinboden. Kuchis, afghanische Nomaden, hatten hier campiert. Jetzt ist dort ein frisches Grab. (Bild)
“Von Weitem kamen mir zerfetzte Zeltplanen entgegen, es gibt reihenweise Kadaver von Kamelen und Eseln, zum Teil mit Sand bedeckt. Die Familie wurden um 4.30, noch im Dunkeln, überrascht.“ Rateb zieht einen Zettel aus der Tasche. Darauf stehen die Namen der Opfer, so wie der Arbab von Karez Soltan sie ihm am Telefon diktiert hat. „Abdul Kahleq, 35 Jahre alt, Isa’abad, sein Sohn, 15 Jahre, Abdul Khaleq 12 Jahre, auch sein Sohn. Die Frauen: Nabad, 50, Aarzoo, 30, Zahra, 7 Jahre, Fatema, 3, Kathima 1 Jahr. Dazu 280 Schafe, 15 Kamele, 63 Esel.“
Warum wurde die Nomadenfamilie bombardiert?, frage ich ihn.
Das sei, wie so vieles in diesem und anderen Fällen unklar, antwortet er. Unweit des Grabs stehen zwei zerstörte Jeeps. In einem soll ein bewaffneter Aufständischer gewesen sein.
In der Gegend um Karez Soltan ist der ex-Mujaheddin und ehemalige Leiter des Strassenbauamtes von Herat, Yahya Siashani, mit einigen seiner Männer aktiv. Weil der vormalige Gouverneur ihn aus dem Amt entfernt hatte, sinnt er auf Rache. Es heisst, er bekämpfe die Regierung im Umland und bis an die Stadtgrenze von Herat, oder seine Leute verteilten sogenannte ‚night letters’, in denen die Bevölkerung gewarnt werde, mit ausländischen Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten. Ganz so unzugänglich und brutal, wie ihn manche Medien beschreiben, scheint er nicht zu sein, wenn man Rateb erzählen hört, vielmehr tief in seinem Stolz gekränkt. Und das ist in Afghanistan oft entscheidend. Ob und inwieweit Siashani mit den Taliban in Verbindung steht, ist schwer herauszufinden.
„Einer von Siashanis Männern in einem der Jeeps. Rechtfertigt das einen unangekündigten Luftangriff?“, fragt Rateb. Die 3 Tonnen Nahrungsmittel sollen ein Geste sein. (Bild) „Keiner hat den Menschen hier bisher erklärt, was vorgefallen ist. Kurz nach dem Angriff kam noch mal ein Hubschrauber zurück, um den Tatort zu inspizieren. Aber niemand in Karez Soltan, auch nicht die Angehörigen, sind in irgendeiner Form von NATO oder US-Militär informiert worden. Kein Beileid, keinen Händedruck“. Offenbar stiimmen Ermittlungen von US- und NATO-Militär mit jenen der afghanischen Streitkräfte nicht überein. Letztere sehen den Angriff auf eine erhebliche Zahl an Zivilisten als erwiesen an. Die Presseabteilung der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan scheint sich einmal mehr zu winden. Zugleich haben sie Entschädigungszahlungen angekündigt.
So ein Fall sorge für Verbitterung. „Die Menschen sagen mir, es erinnere sie an die Zeit der sowjetischen Besatzung. Auch der Hass der Bevölkerung auf die Regierung wachse so, denn in der Regel bleiben die Behörden untätig. Die NATO könne einen Stimmungsumschwung nur dann erreichen, wenn sie schnell und präzise in den Medien aufkläre über Vorfälle wie diesen. Je mehr ‚Kollateralschäden’, so Rateb, desto leichter mache man es den Taliban.
Weil er regelmäßig zwischen Afghanistan und Deutschland pendelt, wo er lange gelebt und die Hälfte seines Lebens verbracht hat, entgeht ihm auch der Stimmungsumschwung in Europa nicht. „Neuerdings erlebe ich in Deutschland verstärkt eine Haltung, als stünde die Bundeswehr in Afghanistan an vorderster Front und als zögen deutsche Soldaten für die Afghanen die Kohlen aus dem Feuer.“ Das Gegenteil sei richtig, findet er. „2008 wurden fast 7.000 afghanische Soldaten schwer verwundet, 1.300 Polizisten und drei Mal so viele afghanische Soldaten starben.“ Im Verhältnis dazu nähmen sich die Opfer der NATO relativ gering aus. Die sei, so Rateb, ein afghanischer Krieg, weshalb der Westen afghanische Polizei und Armee umgehend besser ausrüsten müsse. „500 US-Dollar Monatsgehalt statt 60 oder 120 bisher.“ Denn für das Vaterland allein wolle keiner mehr sterben. Solches Heldentum sei nach 30 Jahren Krieg auf der Strecke geblieben. Die Taliban kämpften für die Religion. Wenn es sich heutzutage für einen Soldaten oder Polizisten lohnen solle, sich dem entgegenzustellen, dann müsse es zumindest finaziell einen Anzreiz geben."
Auch für die zivilen Hilfsarbeiter und Organisationen kann so ein Vorfall Folgen haben. "NGOs operating in the district or based in Herat City should be prepared for possible protests to occur", heisst es in einem aktuellen Rundbrief zur Sicherheit.

Montag, 16. Februar 2009

Afghanische Wechselspiele


Vor 20 Jahren ist die russische Armee aus Afghanistan abgezogen. Ein offizieller Feiertag, letzten Samstag, der in Afghanistan mit einer Mischung aus Genugtuung, Realismus und Zynismus begangen wird. “Damals waren es die Russen, heute sind es die Amerikaner“, sagt Sharif. Der 30-jährige, der für eine internationale Hilfsorganisation arbeitet, war 1989 10 Jahre alt. „Die Russen bezogen meist ausserhalb des Stadkerns Stellung“, erinnert er sich, „ein Sicherheitscordon umgab Kabul. Es war klar wer Freund und wer Feind war. Heute trifft man in den Zentren der Städte auf Regierungstruppen, ausländisches Militär, private Sicherheitsdienste und Taliban“, gibt er die unsichere Gemengelage wider.
Sharif macht sich keine Illusionen, dass auf absehbare Zeit ausländische Truppen in Afghanistan sein werden. „Die Anzahl der Jahre, die seit 2001 vergangen sind, multipliziert mit der Anzahl der EU- und NATO-Staaten“, scherzt er, „solange kann das dauern“. Die Briten, deutet er auf das Empire, hätten es früh verstanden das ethnische Gefüge Afghanistans für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Sharif hat mehrere Jahre für westliche NGOs, Ärzte ohne Grenzen und die Welthungerhilfe gearbeitet. Als die Taliban 2001 besiegt waren, seien viele ihrer Kämpfer im Bezirk Bala Murghab in der nördlichen Provinz Badghis bereit gewesen ihre Waffen abzugeben. Aber monatelang gab es keine Macht, keine Autorität, die die Gewehre eingesammelt habe. Tatsächlich stehen mehrere Entwaffnungsprogramme der vergangenen Jahre für die Ineffizienz auf afghanischer wie internationaler Seite. Die Folgen sind bekannt.
In Herat hat kürzlich ein neues Museum eröffnet, das das Andenken der Mujahedin im Kampf gegen die russischen Besatzer pflegt. (Foto) „Ich glaube nicht, dass die afghanischen Mujahedin die Russen besiegt haben“, wiederspricht Sharif dem gängigen Bild seiner Landsleute, „sie waren bestenfalls Platzhalter in einem Stellvertreterkrieg.“ Olivier Roy hat in einer hervorragenden Studie der Adelphi-Papers schon Anfang der 90er Jahre beschrieben, wie sich die Russen teilweise selbst besiegt haben durch eine Anzahl militärischer Fehler. Der Einmarsch in Kabul erfolgte nach Muster der Invasion 1968 in Prag, schreibt Roy, als eines von mehreren Zeichen taktischer Überheblichkeit. Parallelen, die ins Heute weisen, scheinen nicht zufällig.
Barak Obama war damals noch ein Kind. Erwartet wird von ihm eine Generalüberholung der us-amerikanischen Afghanistan-Strategie. Weite Teile der afghanischen Öffentlichkeit sind allerdings skeptisch. Das Afghan Students Movement, ein unabhängiger Zusammenschluss von Hochschulabsolventen, darunter Stipendiaten an europäischen und US-amerikanischen Hochschulen, haben einen offenen Brief an Präsident Obama formuliert. Der Schlüssel des Problems liegt ihrer Ansicht nach nicht in einer Stärkung der militärischen Präsenz in Afghanistan.
In der Berichterstattung über Afghanistan fällt auf: es wird viel über Afghanistan diskutiert, wenig mit Afghanen. Talk-Runden im deutschen Fernsehen oder bei der jüngsten Anhörung im deutschen Bundestag zur deutschen Rolle beim Polizei-Aufbau finden ohne Beteiligung von Afghanen statt. Das Feuilleton tut sich schwer afghanischen Intellektuellen eine Stimme zu verleihen. Sofern Kultur aus Afghanistan stattfindet wird sie nicht selten instrumentalisiert.

Lincoln in Herat


Bis zuletzt war es für Frauen in Herat schwierig ein Internet-Café zu besuchen. Sie müssen mit Schmähungen und Handgreiflichkeiten junger wie älterer Männer rechnen. Das PC-Angebot hat sich in den letzten Monaten gebessert. Internet umsonst gibt es jetzt u.a. in der American Library, die heute, nach fast zehn Monaten ihre erst öffentliche Veranstaltung erlebt. (BILD) Geladen wird zum 200. Geburtstag von Abraham Lincoln. Ein halbes dutzend neue Computer stehen da, in allen Regalen Bildbände, die Amerika als Resie- und Abenteuerland zeigen. Unter den ca. 80 überwiegend afghanischen Gästen sind auch einige Schülerinnen, die von einem einjährigen Schulaustausch in den USA zurückkommen und munter in Englisch drauf los reden. Der führende amerikanischer Diplomat in Herat, ein Demokrat, wie es heisst, hält eine kurze Ansprache, die merkwürdig losgelöst erscheint zunächst. Kein Hinweis auf Obama und eine bessere Afghanistan-Strategie. Immerhin: der US-Gesandte spricht Dari (das afghanische Persisch). Unter den Diplomaten in Kabul muss man so etwas lange suchen. Er stellt Lincoln als Philosoph, Kriegspräsident und Diplomat dar, der für Sklavenbefreiung eintrat und eines gewaltsamen Todes starb. Vier bewaffnete Bodyguards sind im Raum postiert, der Sicherheitscheck am Eingang war lasch. Dann schneidet der US-Gesandte und der in den USA studierte Gouverneur von Herat, der in Anzug und mit blauem Hemd erschienen ist, eine riesige Creme-Torte an. Nach wenigen Minuten ist das quadratmeter-grosse Gebäckteil nicht mehr zu sehen. Afghanische Gäste schleppen tellergrosse Stücke auf Papptellern und in ihren Jackentaschen mit nach Hause.
In Herat halte ich bisher vergeblich Ausschau nach Militärfahrzeugen bzw. Patrouillen der ausländischen Truppen. „Die Italiener (Anm.: Italien stellt in Herat das PRT/Provincial Reconstruction Team) halten sich zurück, und sie tun gut daran“, bemerkt ein Einheimischer zynisch. Viele Herater beschweren sich über die mangelnde Effizienz und Inaktivität dieses PRTs. Ein deutscher Entwicklungshelfer den ich hier treffe, geht weiter. Er kritisiert das PRT-Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit insgesamt als Fehlgeburt. Humanitäre Hilfsorganisationen aus Deutschland seien in der Regel zu politischer Neutralität verpflichtet. Er wundere sich, warum sich dies selbst bei Generälen der Bundeswehr, die in Afghanistan Dienst tun, noch nicht herumgesprochen habe.
Mittlerweile nehmen sogar politische think tanks in Berlin langsam Abschied vom Konzept des PRTs, nachdem dieses jahrelang (warum überhaupt?) gepriesen wurde. Zahlreiche deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan, u.a. jene die VENRO zusammengeschlossen sind, argumentieren mit guten Gründen für eine strikte Trennung von zivilen und militärischen Aufgaben. Regierung wie Teile der Opposition wägen die deutsche Öffentlichkeit dagegen noch immer in dem Glauben es gebe hier eine einzigartige deutsche Erfolgsstory.
Nachdem die US-Regierung unter Obama gerade die Entsendung weiterer 17.000 Soldaten beschlossen hat sitze ich mit einem US-amerikanischem Entwicklungshelfer, der in Vietnam gekämpft hat: "Über 40 NATO-Staaten und andere ausländische Nationen sind hier vor Ort. Jeder hat seine eigene Strategie, viel zu wenig ist wirklich koordiniert. Das macht das Land auf Dauer kaputt." Die zusätzlichen Truppen, ist er überzeugt, machten es auch für die zivilen Helfer tatsächlich schwerer.

Samstag, 14. Februar 2009

Zero Point





Einreise nach Afghanistan über die iranische Grenze bei Eslame Qala. Nach zehn Minuten im Freien knirscht es zwischen den Zähnen. Der feine Sand und stürmische Böen dringen in alle Ritzen. 'Zero Point' nennen einheimische Entwicklungshelfer die Grenze, weil von hier aus ein Hindernislauf für die afghanischen Rückkehrer aus Iran beginnt, legale wie illegale. Iraner und Afghanen verbindet zwar die gleiche Sprache, ansonsten ist das Gefälle erdrückend: politisch, gesellschaftlich, kulturell. Im Iran ist das Tragen des Kopftuchs zwar Gesetz. Trotzdem pflegen Frauen in Tehran oder Mashad einen vergleichsweise selbstbewußten Umgang mit Männern. Das endet tatsächlich an der Grenze. Stärker noch als in Afghanistan sind blonde Haare und helle Haut in Persien ein Schönheitsideal. Im Westen bemühen wir uns dagegen unter künstlichem Sonnenlicht die Bräune asiatischer Völker nachzuahmen. Wie überhaupt prima vista immer am Begehrenswertesten scheint, was man nicht besitzt.
Afghanische Migranten sind im Iran Menschen zweiter Klasse. Trotzdem gehen sie zu Tausenden über die Grenze, um Arbeit und ein besseres, ein sichereres Leben zu suchen. Geschätze 3 Millionen Afghanen leben im Iran. Gut eine Million davon ist registriert und besitzt Papiere, ihnen droht meist nicht unmittelbar die Abschiebung. Migranten ohne Papiere sind politische Verschiebemasse. Iran entledigt sich manchmal täglich Tausender sogenannter Illegaler. Für die Zeit nach dem persischen Neujahr, Mitte März, wird erneut mit einem Strom von Rückkehrern nach Afghanistan gerechnet. Nota bene: UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk, versorgt nur afghanische Familien und Rückkehrer die Ausweispapiere haben mit einem kleinen Handgeld und einer Tasche voll Essen. Die Masse der oft Mitellosen Heimkehrer ohne Papiere fallen durch das Raster. Kaum eine Hilfsorganisation nimmt sich ihrer an. Hier erweist sich die Scheinheiligkeit des humanitären Anspruchs. UNHCR zieht es vor diplomatisch sauber zu bleiben.
An der Grenze warten Kinder und Jugendliche (Bild) mit ihren Schubkarren um die Koffer zu transportieren. Deutschland hat hier auf afghanischer Seite für mehrere Millionen Euro einen Kreisverkehr gebaut, der die Ein- und Ausreise übersichtlicher machen soll. Nach über einem halben Jahr wird das mit Stacheldrahtzaun begrenzte Teilstück immer noch nicht genutzt. Bei uns ein Fall für den Rechnungshof.
Gelegentlich sieht man amerikanisches Militär auf der afghnischen Seite der Grenze. Eine US-Soldatin mit offenem Haar läuft gestikulierend vor einer Gruppe bärtiger Offiziere der afghanischen Armee her. Fotografieren ist verboten. Offenbar Teil eines Trainingsprogramms. Unmittelbar dahinter liegt ein US-Militärcamp über das man schwer gesicherte Informationen bekommt. Es heisst, die Strasse zum Camp sei bewusst breit angelegt, damit sie zur Not als Landepiste für Flugzeuge tauge. Die vereinzelten US-Soldaten laufen hier nur wenige Meter vom Iran entfernt, mit dem es seit jetzt 30 Jahren keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gibt. Von einem Tauwetter ist hier noch Nichts zu spüren.
Auf dem Weg nach Herat rechnet der afghanische Fahrer vor: „ein fremder Soldat in Afghanistan kostet umgerechnet 70 US-Dollar pro Tag. Damit können sie hier am Tag mehrere Familien ernähren.“ Was er von Obamas neuer Afghanistan-Politik erwarte?: Investitionen in Landwirtschaft und den Bau von Betrieben, damit endlich das Heer der Arbeitslosen weniger werde. (Die hohe Arbeitslosigkeit ist einer der Gründe dafür, dass junge Desperados anfällig sind für Lockungen der Taliban.) Und geplante 20.000 Soldaten mehr? „Nein“, winkt er ab, „das bringt nichts." Die Mitfahrer auf der Hinterbank nicken einmütig.